Hohe Praxisrelevanz

Gefestigte Abnehmer- und Lieferantenbeziehungen sind für Unternehmen von großem Wert. Gewachsenes Vertrauen wird dabei oft und gerne auch vertraglich abgesichert. Die Vertragspartner könnten etwa vereinbaren, bestimmte oder alle Geschäfte nur miteinander und nicht mit Dritten abzuwickeln (Ausschließlichkeitsbindung). Häufig ist dabei sowohl die Verpflichtung bestimmte Waren oder Dienstleistungen nur vom jeweiligen Vertragspartner zu beziehen (Bezugsbindung) oder nur an diesen zu liefern (Alleinbelieferungspflicht).

Breiter Anwendungsbereich

Derartige Konstellationen treten keineswegs nur in „klassischen“ Lieferketten auf. Wie ein älterer Fall des OLG München (OLG München, Urt. v. 24. Juli 2003 – U (K) 2067/03) zeigt, sind auch neuere Vertragsmodelle wie der dort untersuchte Vertrag für die Überlassung eines Projektorsystems Gegenstand der kartellrechtlichen Kontrolle. Auch Verträge über immaterielle Güter, insbesondere ausschließliche Markennutzungsrechte, können wegen überlanger oder zu weitgehender Bindungen des Vertragspartners unzulässig sein (OLG Hamburg, Urt. v. 12. Dezember 2013 – 3 U 38/11).

Hohe Eingriffsintensität

Der jüngste Fall des Bundeskartellamts betraf die Ticketagentur CTS-Eventim (Entsch. v. 04. Dezember 2017, B6-132/14-2). Deren Marktverhalten wird nachhaltig (bis 2021) durch die Vorgaben des Amtes geprägt werden. Sie muss ihren Geschäftspartnern bei langlaufenden Verträgen mindestens 20% der Tickets belassen. Jedoch ist der Eingriff des Bundeskartellamts für einen intensiven Effekt der Entdeckung kartellrechtswidriger Bindungen keinesfalls erforderlich. Das OLG Brandenburg hat in einer neuen Entscheidung (OLG Brandenburg, Beschl. v. 20. März 2018 – 6 Kart 3/15) die Dauer eines Mietvertrages eines marktstarken Unternehmens über 23 Jahre als rechtswidrig angesehen und gefordert, dass eine Bedarfsermittlung durch Ausschreibung im 5-Jahres Takt unter angemessenen und fairen Bedingungen erfolgen müsse. Die Rechtsprechung reduziert darüber hinaus regelmäßig die Dauer rechtswidriger Bindungen auf ein noch rechtskonformes Maß. Dadurch kann es zu erheblichen Unsicherheiten bei den Vertragsparteien kommen. Denn es fehlt dann ab einem bestimmten Zeitpunkt an eindeutigen Regelungen für die Zusammenarbeit und es kann – je nach konkretem Einzelfall – eine teilweise Rückabwicklung erforderlich werden.

Häufige „Altlasten“

Gerade bei der Erstellung älterer Verträge, die im Bestand vieler Unternehmen schlummern, ist dem Kartellrecht seinerzeit bisweilen (höchstens) eine Nebenrolle eingeräumt worden. Dies kann im Streitfall problematisch werden. Denn „Aus dem Auge, aus dem Sinn“ gilt nicht für die Anwendung des Kartellrechts. Die Linie in der Praxis ist insoweit klar: es gibt keinen Bestandsschutz für Vereinbarungen, selbst wenn sie zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses (noch) zulässig gewesen sein sollten.

Frühzeitige Vorsorge

Eine kartellrechtliche Prüfung ist danach regelmäßig sinnvoll:

  • Im Rahmen eine Risikoanalyse von Vertragsbeständen.
  • Bei sich konkret andeutenden Streitigkeiten über langlaufende Bindungen in erheblichem Umfang (besonders bei Wettbewerbern oder kleineren Lieferanten oder Abnehmern).
  • Bei der Erstellung von Vereinbarungen über langlaufende oder sich selbständig verlängernde Bindungen (besonders bei Wettbewerbern oder kleineren Lieferanten oder Abnehmern).