Der EuGH hat sich seiner Entscheidung vom 14. März 2019 wenig überraschend für eine Konzernhaftung für Kartellschadensersatzansprüche nach Art. 101 I AEUV ausgesprochen. Die effektive Durchsetzung des Kartellverbots setze demnach voraus, dass sich Kartellanten ihrer Verantwortung zur Kompensation von Kartellschäden nicht durch Umstrukturierungen entziehen können.

Im konkreten Fall wurden die Geschäftsbereiche finnischer Unternehmen, die an Kartellabsprachen über Asphalt beteiligt waren, auf neue Gesellschaften übertragen, die die jeweiligen Geschäfte fortführten. Die am Kartell beteiligten juristischen Personen wurden anschließend liquidiert. Hier stellt sich die Frage, ob geschädigte Abnehmer ihre Kartellschadensersatzansprüche auch gegenüber den Rechtsnachfolgern geltend machen können.

Der EuGH bejaht dies und verweist darauf, dass die Reichweite des Begriffs „Unternehmen“ in Art. 101 AEUV nach unionrechtlichen Maßstäben auszulegen ist und damit nicht nur die konkrete am Verstoß beteiligte juristische Person erfasst, sondern die gesamte wirtschaftliche Einheit, die gegebenenfalls mit dem Kartellanten verbunden ist. Dieses Begriffsverständnis legte der EuGH in ständiger Rechtsprechung auch bei der Frage der Verantwortlichkeit für Kartellbußgelder zu Grunde, so dass in Kartellbußgeldverfahren nicht selten direkt die Muttergesellschaften die Kartellbuße tragen müssen, obgleich nur eine Tochtergesellschaft am Kartell beteiligt war.

Der EuGH stellt auch klar, dass diese Haftung der wirtschaftlichen Einheit für Kartellschäden zeitlich uneingeschränkt gilt, das heißt auch für Altfälle vor (Umsetzung) der Kartellschadensersatzrichtlinie.

Das Urteil war in dieser Form zu erwarten. Es zeigt erneut das Spannungsverhältnis zwischen deutschem Konzernrecht und Haftungsfragen des EU-Kartellrechts auf. Aber auch der Zielkonflikt zwischen der effizienten Durchsetzung des Kartellverbots sowie der Abschreckungswirkung durch private Kartellschadensersatzklagen einerseits und dem streng an reinen Kompensationsgedanken orientieren deutschen Schadensersatzrecht andererseits schwingt in dieser Entscheidung erneut mit.

Auch wenn der EuGH hier eine Konstellation mit wirtschaftlicher Identität zwischen Kartellant und Rechtsnachfolger zu entscheiden hatte und keine direkte Vergleichbarkeit mit zwischenzeitlichen „Wurstlücke“ in Deutschland gegeben ist, da bei wirtschaftlicher Identität der BGH bereits vor der GWB-Novelle von einer Rechtsnachfolge ausging, dürfte dies nur der Startschuss für eine umfassende Anwendung der Entscheidungspraxis zur wirtschaftlichen Einheit auf Kartellschadensersatzansprüche sein.


Dr. Kim Manuel Künstner berät Unternehmen in allen Fragen des Kartellrechts.