Der Umgang mit der Verhandlungsmacht großer Lebensmitteleinzelhändler beschäftigt die Rechtsordnungen in ganz Europa. Auffallend sind die unterschiedlichen Ansätze, die hierfür gewählt werden. Während in Deutschland das sog. „Anzapfverbot“ (§§ 19 Abs. 2 Nr. 5, 20 Abs. 2 GWB) als zentrale kartellrechtliche Norm derzeit dem BGH zur Entscheidung vorliegt und durch die aktuelle 9. GWB-Novelle verschärft werden soll, hat Polen bereits ein neues Gesetz im Amtsblatt veröffentlicht, das am 12. Juli 2017 in Kraft treten wird. In seinem Gastbeitrag berichtet Michał Markowicz aus der Warschauer Kanzlei PSB Legal über die wichtigsten Änderungen.

Gegenstand des neuen Gesetzes.

Das neue Gesetz verbietet das missbräuchliche Ausnutzen der vertraglichen Überlegenheit bei Verträgen über den Kauf von Lebensmitteln (i.S.v. Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002) zwischen Lieferanten und Käufern (darunter Wiederverkäufern) und findet Anwendung, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen: (i) der jährliche Gesamtumsatz zwischen dem Lieferanten und dem Käufer beträgt mehr als PLN 50.000 (ca. 11.400 Euro) und (ii) der jährliche Umsatz des Unternehmers (oder der Umsatz der zugehörigen Unternehmensgruppe), der seine vertragliche Überlegenheit ausnutzt, übersteigt- (PLN 100 Mio.) (ca. 22,800 Mio. Euro) .

Vertragliche Überlegenheit und deren missbräuchliches Ausnutzen.

Der Schwerpunkt des Gesetzesentwurfs liegt auf der (i) vertraglichen Überlegenheit und (ii) deren missbräuchliches Ausnutzen. Beide Merkmale sind weit davon entfernt, präzise zu sein. Vertragliche Überlegenheit ist definiert als eine Situation zwischen Lieferant und Wiederverkäufer, in welcher keine ausreichenden und faktischen Möglichkeiten zum Verkauf der Lebensmittel bestehen und eine signifikante Unverhältnismäßigkeit zwischen dem wirtschaftlichen Potential der Vertragsparteien besteht. Die Ausnutzung einer solchen vertraglichen Überlegenheit wird als missbräuchlich bewertet, wenn sie in Widerspruch zu den guten Sitten steht und ein wesentliches Interesse der anderen Vertragspartei gefährdet oder unterminiert.

Das Gesetz enthält eine nicht abschließende Aufzählung von missbräuchlichen Verhaltensweisen, wie beispielsweise: (i) ungerechtfertigte Beendigung des Vertrages oder eine diesbezügliche Androhung, (ii) einseitiges Kündigungs- oder Rücktrittsrecht, (iii) das Abhängigmachen des Vertragsabschlusses oder der Vertragsverlängerung von der Annahme oder Erbringung einer Bedingung, welche keinen sachlichen oder gebräuchlichen Bezug zum Vertragsgegenstand aufweist (z.B. Gebühr für die Bereitstellung eines Produkts in einem Supermarkt, sog. „Regalgebühr“), (iv) ungerechtfertigte Verlängerung der Zahlungsbedingungen.

Zu diesem Zeitpunkt ist noch unklar, ob die oben genannten Beispiele per se einen Verstoß gegen das Gesetz begründen.

Verfahren.

Die Kompetenz zur Umsetzung des Verbots des missbräuchlichen Ausnutzens von vertraglicher Überlegenheit wird dem Vorsitzenden der polnischen Behörde für Wettbewerb und Verbraucherschutz („polnische Kartellbehörde”) verliehen. Es wird damit eine neue Kompetenz der polnischen Kartellbehörde begründet, welche daneben unter anderem bereits für die Durchsetzung des Kartellverbots, die Fusionskontrolle und den Verbraucherschutz zuständig ist.

Die Verfahren sollen ex officio von der polnischen Kartellbehörde eingeleitet werden, allerdings können auch Dritte die Behörde über missbräuchliche Verhaltensweisen informieren. Die Behörde ist dazu verpflichtet, die informierenden Parteien über das Ergebnis des betreffenden Verfahrens in Kenntnis zu setzen. Die gesetzlich vorgesehene Dauer des Verfahrens beträgt 5 Monate, wobei ein vorangehendes Aufklärungsverfahren von maximal 5 Monaten geführt werden kann.

Geldbußen.

Das Gesetz sieht Geldbußen gegen die an missbräuchlichen Verhaltensweisen beteiligten Unternehmen in Höhe von bis zu 3% des Jahresgesamtumsatzes vor. Die Höhe der Geldbuße wird ausgehend von dem Gesamtumsatz des verletzenden Unternehmens berechnet und weist keinen Bezug zu dem Umsatz auf, welcher bei dem in Frage stehenden Lebensmittelkaufvertrag erzielt wird. Auch das Bereitstellen von unwahren oder irreführenden Informationen im Zuge des Verfahrens sowie die Behinderung einer behördlichen Untersuchung (sog. „dawn raid“) kann mit einer Geldbuße von bis zu 50 Mio. Euro sanktioniert werden.

Das Gesetz sieht keine Haftung von Geschäftsführern oder Mitgliedern des Aufsichtsrats vor, allerdings können diese (sowie andere Personen) für die Behinderung einer behördlichen Untersuchung mit einer Geldbuße von bis zu 45.000 Euro belegt werden.

Unternehmen ist es gestattet, zur Behebung des Rechtsverstoßes Verpflichtungszusagen anzubieten. Falls der Verstoß wahrscheinlich, aber nicht bewiesen ist und eine Verpflichtungszusage von der polnischen Kartellbehörde angenommen wird, erfolgt keine Geldbuße.

Bewertung und Ausblick.

Das Gesetz bezweckt den Schutz der schwächeren Marktteilnehmer (üblicherweise Lieferanten) gegen den Missbrauch der Markt- und Vertragsmacht der größeren Unternehmen (üblicherweise Einzelhändlerketten). Das Ziel besteht darin, dass alle an der Lebensmittelversorgungskette Beteiligten vergleichbare Rechte und Pflichten haben, unabhängig von ihrem tatsächlichen wirtschaftlichen Potential.

Damit transponiert das Gesetz auf die verwaltungsrechtliche Ebene die dem Zivil- bzw. Lauterkeitsrecht schon seit längerer Zeit bekannten Konzepte (z.B. Regalgebühr). Bisher bestand das Problem darin, dass Unternehmer, aus Angst die Geschäftsbeziehung zu gefährden, keine Klagen vor den Zivilgerichten erheben wollten.

Das Gesetz wird aufgrund der niedrigen Eingriffsschwellen wohl auf die Mehrheit der Lebensmittelkaufverträge in der Lebensmittelversorgungskette Anwendung finden. Allerding könnte sich die praktische Anwendung des Gesetzesentwurfs mangels Rechtsprechung und von der polnischen Kartellbehörde bereitgestellten Auslegungsrichtlinien als schwierig erweisen, denn die im Gesetz verwendeten Begriffe, wie vertragliche Überlegenheit und missbräuchliches Verhalten, sind mehrdeutig.

Unternehmen sollten bereits existierende Verträge sowie Verhandlungspraktiken in Polen überprüfen, um wenigstens solche Vertragsklauseln, welche im Gesetz als Beispiele für missbräuchliche Verhaltensweisen aufgeführt werden (s.o.), zu streichen. Insbesondere sollten vertragliche Bestimmungen, welche keinen direkten Bezug zu dem Kaufvertrag an sich aufweisen, wie Gebühren für die Platzierung eines Produkts, Marketing, oder Werbeprospekte, ebenso wie Vertragsklauseln, welche nur eine Vertragspartei hinsichtlich der Beendigung oder Aufhebung eines Vertrags favorisieren, genau auf ihre Zulässigkeit untersucht werden.

Das Gesetz wurde am 11. Januar 2017 im polnischen Amtsblatt veröffentlicht und tritt am 12. Juli 2017 in Kraft.


Über den Gastautor:
Michał Markowicz ist Partner der Kanzlei PSB Legal und berät Unternehmen zu allen Fragen des polnischen und europäischen Kartellrechts.