Keine gute Chemie: EU-Kommission durchsucht Unternehmen mit Aktivitäten im Bereich Styrol

Die EU-Kommission hat am 8. Juni 2018 per Pressemitteilung bestätigt, dass Durchsuchungen bei Unternehmen im Bereich des Einkaufs von Styrol-Monomer stattgefunden haben. Styrol ist ein ist eine chemische Verbindung auf Kohlenwasserstoff-Basis, die bei der Herstellung von Kunststoffen sowie von Polystyrol zum Einsatz kommt. Geschäumtes Polystyrol ist insbesondere unter dem Markennamen Styropor bekannt. Wegen der weiten Verbreitung styrolbasierter Kunststoffe könnte ein Kartell in diesem Bereich weite Kreise ziehen.

Die Pressemittelung deutet allerdings darauf hin, dass es sich um ein Nachfrage- und nicht um ein Anbieterkartell gehandelt haben könnte („styrene monomer purchasing sector“). Ein EU-weites Nachfragekartell mit entsprechendem Schadenspotential wäre eine eher ungewöhnliche Erscheinung. Für Unternehmen im Bereich Chemie und Styrolverarbeitung dürfte sich mit Blick auf Follow-on-Klagen eine weitere Beobachtung des Verfahrens lohnen. Ob sich die Absprachen auch auf den nachgelagerten Märkten ausgewirkt hat, ist derzeit noch nicht zu beantworten.

Zahltag: Supreme Court (U.S.A.) entscheidet für American Express zum „Steering“

Mit Entscheidung vom 25. Juni 2018 hat der Supreme Court der U.S.A. entschieden, dass die als „Diskriminierungsverbot“ verpackten Bestimmungen in den Händlerverträgen von American Express („AmEx“) gegen das sogenannte „Steering“ nicht gegen das Kartellverbot aus Section 1 des Sherman Act verstoßen.

Mit Steering ist der Versuch von Verkäufern gemeint, Kunden anzuhalten, statt der AmEx-Karte mit einer anderen Kreditkarte zu bezahlen. Steering ist für Verkäufer attraktiv, weil sie damit einerseits auch Kunden anziehen können, die mit einer American Express Karte bezahlen möchten, bei erfolgreicher „Umleitung“ des Kunden aber die Händlergebühren von American Express sparen können. Diese sind höher als die Gebühren der großen Konkurrenten VISA und Master Card. In einem „Diskriminerungsverbot“ hatte AmEx Händler verpflichtet, von Maßnahmen abzusehen, in denen „Steering“ gesehen werden könnte. Diese Praxis wird AmEx nach der Entscheidung fortsetzen können.

Der Supreme Court stützt seine Entscheidung maßgeblich auf die im Kartellrecht noch vergleichsweise junge Theorie zu Plattformmärkten. Das Gericht führt aus, es gäbe nicht zwei Märkte, einen für das Angebot von Zahlungsdurchführung für Händler und einen für Kreditkarten für (potentielle) Kunden, sondern nur einen einheitlichen „Plattform-Markt“. Dass sich die Maßnahme zulasten der an der Transaktion beteiligten Händler auswirke, reiche daher nicht aus. Weder könne eine Beschränkung des Angebots durch AmEx festgestellt werden, noch sei es zu einem Rückgang des Wettbewerbs gekommen. Im Gegenteil habe das Geschäftsmodell von AmEx den Wettbewerb befördert und Master Card und VISA in Zugzwang gesetzt.

Spannend ist zunächst, dass Master Card und VISA von ähnlichen Vorwürfen betroffen waren und problematische Klauseln aus ihren Vertragswerken entfernt haben sollen. Es stellt sich also die Frage, inwieweit sie zu ihrer alten Praxis zurückkehren können. Für die Vereinigten Staaten stellt sich jetzt die noch spannendere Frage, ob die Entscheidung des Supreme Court zu Plattformmärkten auch Technologieunternehmen einen großzügigeren Spielraum bei der Vertragsgestaltung bei elektronischen Plattformen (auch im Internet) verschafft.

BGH mit Hemmungen: Alte Ansprüche auf Kartell-Schadensersatz bleiben durchsetzbar

Der Bundesgerichtshof (BGH) ist in der lange erwarteten Entscheidung zur Hemmung von Schadensersatzansprüchen kartellgeschädigter Unternehmen (Urteil vom 12. Juni 2018, Az. KZR 56/16) zu dem Ergebnis gelangt, dass die Verjährung von Schadensersatzansprüchen auch dann durch ein Verfahren bei den Kartellbehörden gehemmt worden ist, wenn der Verstoß vor Inkrafttreten der Hemmungsvorschriften stattgefunden hat. Solange das Verfahren bei den Kartellbehörden (insbesondere EU-Kommission und Bundeskartellamt) nicht abgeschlossen war, bevor die Neuregelung mit dem 01. Juni 2005 in Kraft trat, kam es zur Hemmung des Verjährungslaufs hinsichtlich bestehender Schadensersatzansprüche.

Mit der Entscheidung, in der der BGH sich auch mit anderen Streitfragen des Kartell-Schadensersatzes auseinandersetzt, ist auch geklärt, dass Schadensersatzansprüche, die vor dem Inkrafttreten besonderer Verzinsungsregeln entstanden sind, dennoch durch die Kartellanten mit 4% p.a. zu verzinsen sind.

Die Entscheidung könnte den „Goldrausch“ beim Kartell-Schadensersatz weiter beschleunigen, sind doch wesentliche Stellschrauben für die Höhe des Schadensersatzes jetzt klar klägerfreundlich eingestellt.

Deutsch-französische Kooperation: Wettbewerbsauswirkungen von Algorithmen werden von Bundeskartellamt und Autorité de la concurrence gemeinsam analysiert

Deutsch-französische Kooperation gibt es nicht nur bei uns ( SR. French Desk) , sondern auch beim Bundeskartellamt: dort hat man jetzt gemeinsam mit der französischen Autorité de la concurrence ein Projekt zu Algorithmen und Wettbewerb offiziell gestartet.

Nachdem die ersten Fälle, in denen eine Preisbildungssoftware in kartellrechtlich verbotener Weise genutzt worden war, bereits in den Vereinigten Staaten entschieden sind, dürfte es jetzt nur noch eine Frage der Zeit sein, bis die Behörden in der EU Maßstäbe und ein entsprechendes Instrumentarium entwickelt haben. Dann fehlt nur noch ein „schöner“ leading case…

Die Probleme, die Preisermittlung, Preisüberwachung und Preisbildung über automatisierte Prozesse bergen, sind zweifellos kein rein akademisches Problem. Ein Rückgriff auf die Unterstützung durch Algorithmen beim Pricing wirft ganz eigene kartellrechtliche Probleme auf. Als Ergebnis unserer Besprechung, die in der Zeitschrift Kommunikation & Recht erschienen ist und hier kostenlos heruntergeladen werden kann, hatten wir bereits festgehalten, dass das Problem demnächst auch ganz praktisch in den Fokus geraten würde. Unternehmen, die ihre Preisbildung um algorithmusgestützt automatisierte Teile ergänzen, sollten unbedingt vermeiden, unbewusst den angesprochenen leading case vorzubereiten.

Auch die Monopolkommission hat die Zeichen der Zeit erkannt und in ihrem XXII. Hauptgutachten empfohlen,Märkte mit algorithmenbasierter Preisbildung systematisch auf Wettbewerbsbeschränkungen zu untersuchen. Hierzu schlägt die Monopolkommission eine Sektoruntersuchung vor.

Hinweis: am 27. September 2018 wird Dr. Kim Manuel Künstner, Partner in unserem Kartellrechtsressort im Rahmen der GRUR-Jahrestagung in Berlin zu diesem Thema vortragen.