– Vorbescheid und „Voll“-Genehmigung

Merksätze:

Den rechtlichen Rang konkurrierender immissionsschutzrechtlicher Anträge bestimmt der sogenannte Prioritätsgrundsatz. Er gilt auch in Fällen der Konkurrenz eines immissionsschutzrechtlichen Vorbescheids mit der Genehmigung im „Voll“-Verfahren. Schon die Einreichung prüffähiger Antragsunterlagen vermittelt die rangsichernde Wirkung. Maßgeblich ist nicht der Zeitpunkt der jeweiligen Antragstellung, der Entscheidungsreife oder der Genehmigungserteilung, sondern der Zeitpunkt der Einreichung prüffähiger Unterlagen. Prüffähige Unterlagen liegen dann vor, wenn sie zu allen relevanten Aspekten des Vorhabens Auskunft geben und der Behörde ermöglichen, den Antrag unter Berücksichtigung dieser Angaben zu prüfen.

Entscheidung:

Das OVG Münster hatte einen Fall zu entscheiden, der Windanlagen betraf; die oben genannten Merksätze sind aber nicht auf Windanlagen beschränkt, sondern auch für andere Anlagen heran zu ziehen.

Windanlagen werden meist in Mehrzahl in sogenannten Windparks errichtet. Zur bestmöglichen Nutzung windhöffiger Bereiche optimiert die Standortplanung die Errichtung, dass Windschatten- und Verwirbelungsbereiche nicht auftreten: Denn Windenergieanlagen können im Verwirbelungsbereich Turbulenzen auslösen, die für einzelne Anlagen deren Statik berühren. In Zulassungsverfahren ist daher regelmäßig ein Gutachten zur Intensität der Turbulenzen erforderlich. Stellt das Gutachten zu erwartenden Turbulenzen fest, muss jede hinzukommende Anlage mit Betriebseinschränkungen bis hin zu Abschaltauflagen befürchten. Das beeinträchtigt die Windausbeute und damit die Wirtschaftlichkeit der (hinzukommenden) Anlage. Bei mehreren zur Genehmigung beantragten Anlagen ist daher entscheidend, wer rechtlich den Schrittvorteil des Prioritätsgrundsatzes für sich in Anspruch nehmen kann. Diese Anlage wäre situativ damit „Vorbelastung“ und auf sie müsste die rechtlich nachrangige Anlage Rücksicht nehme und die erwähnten rechtlichen und wirtschaftlichen Einschränkungen hinnehmen.

Im Fall des OVG Münster (8 A 1886/16) beantragte der Betreiber A die Erteilung eines immissionsschutzrechtlichen Vorbescheids über einzelne Genehmigungsvoraussetzungen. Im Folgemonat beantragte Betreiber B eine Vollgenehmigung. Beide reichten im jeweiligen Verfahren weitere Gutachten nach, unter anderem Artenschutzgutachten, die Betreiber A im März, Betreiber B im Juni 2013 nachreichte.

Das OVG entschied in einer Linie mit früheren Entscheidungen, unter anderem zu Vorbelastungen durch Schallimmissionen von Anlagen: Der Prioritätsgrundsatz sei ein objektiver und verlässlicher Maßstab für die Verteilungsentscheidung und trage dem Willkürverbot und dem Gleichbehandlungsgrundsatz Rechnung. Liegen prüffähige Antragsunterlagen vor, liegt zugleich eine hinreichend verfestigte Planung vor. Auch ein Vorbescheidverfahren vermittle einen verfahrensrechtlich verfestigten Status, da inzident eine vorläufige positive Gesamtbeurteilung der Einhaltung der Genehmigungsvoraussetzungen in den Blick kommt, ohne dass schon die (vollständige) Genehmigungsfähigkeit belegt sein muss. Auch auf gegebenenfalls auftretende fachliche Einwände komme es nicht an. Vorliegend kam daher der zeitlich früheren Einreichung des Artenschutzgutachtens die streitentscheidende Bedeutung zu.

Hinweise:

Die Entscheidung setzt ähnliche Entscheidungslinien fort und ist über die Genehmigung von Windenergieeinrichtungen anwendbar. Zügige Planung und Umsetzung der Planung in Einzelschritten kommt maßgebliche Bedeutung zu – die oft redensartliche „Gutachterschlacht“ ist daher nicht nur nach Masse und Gewicht (des Inhalts) zu führen, sondern insbesondere auch in der zeitlichen Dimension!

Zu beachten ist zudem, dass diese Verfahrensposition nur „in der Regel“ besteht, was das OVG Koblenz dazu führte, im Ergebnis einem zeitlich früheren Vorbescheid den Nachrang zuzusprechen (8 B 10260/18).


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Christoph Just LL.M. ist Partner unserer Sozietät in Frankfurt am Main und Fachanwalt für Steuer- und Verwaltungsrecht. Seine Praxis fokussiert sich auf Prozessführung (staatliche und Schiedsgerichtsbarkeit) wie auch auf regulatory (Umwelt, Energie, Vergabe).