Mit seinem Urteil v. 07.04.2016 (Az.: VII ZR 56/15) hat der Bundesgerichtshof (BGH) u. a. eine lange in der Praxis erwartete Grundsatzentscheidung getroffen: danach sind die in einem Bauvertrag enthaltenen Regelungen des § 8 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 i. V. m. Nr. 2 VOB/B (2009) weder nach § 134 BGB wegen Verstoßes gegen §§ 103, 119 InsO unwirksam noch verstoßen sie wegen unangemessener Benachteiligung des Auftragnehmers gegen § 307 Abs. 1 und 2 Nr. 1 BGB.

Sachverhalt.

Gegenstand der Entscheidung bildet die Inanspruchnahme aus einer Vertragserfüllungsbürgschaft, die die später in die Insolvenz geratene B. GmbH der Klägerin zur Sicherung von deren Erfüllungs­ansprüchen bis zur Höhe eines Betrags von 10 % der Auftragssumme aus einem mit ihr geschlossenen Bauvertrag über die Errichtung eines Geschäftshauses unter Einbeziehung der VOB/B (2009) zu stellen hatte. Als die B. GmbH im April 2012 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen beantragte, kündigte die Klägerin den Bauvertrag mit der B. GmbH aus wichtigem Grund unter Bezugnahme auf § 8 VOB/B. Wegen der Fertigstellungsmehrkosten nimmt die Klägerin die beklagte Bürgin in Anspruch.

Zu Recht, wie der Bausenat des BGH jetzt entschied. Im Einzelnen:

Entscheidungsgründe.

1.

Der BGH legt dar, dass das in § 8 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 2 VOB/B statuierte Kündigungsrecht des Auftraggebers für den Fall der Eigeninsolvenzantragstellung des Auftragnehmers (und der Rechtsfolgenregelung des § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B) zwar eine insolvenzabhängige Lösungsklausel darstelle, die das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO zumindest mittelbar beeinträchtigen könne; jedoch verstieße dies nicht gegen § 119 InsO, da das vertragliche Lösungsrecht der Auftraggebers der besonderen Interessenlage der am Bau Beteiligten entspreche.

Der BGH hebt - wie bereits unter Geltung der KO im Urteil v. 26.09.1985 - VII ZR 19/85, ZIP 1985, 1509 - hervor, dass die persönlichen Eigenschaften des Auftragnehmers wie beispielsweise Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit in einem Bauvertrag von so großer Bedeutung für den Auftraggeber sind, dass ihm schon deshalb eine Fortsetzung des Vertrags mit dem Insolvenzverwalter entgegen seinem Willen nicht zugemutet werden kann.

Ein Insolvenzverwalter hingegen kann das für die Erfüllung eines Bauvertrags erforderliche Vertrauen nicht in gleicher Weise für sich in Anspruch nehmen, da er zur Fortführung des Bauvorhabens regelmäßig auf die Mitwirkung Dritter wie beispielsweise Warenlieferanten, Nachunternehmer und Banken angewiesen sein wird, die sich häufig infolge eigener Forderungsausfälle nicht zur Weiterarbeit bereitfinden werden. Insoweit unterscheidet sich der Auftraggeber eines Bauvertrags grundsätzlich von anderen Gläubigern (insbesondere Warenlieferanten), da er regelmäßig ein schwerwiegendes, die Interessen der Insolvenzgläubiger an einer Fortführung des Bauvertrags erheblich überwiegendes Interesse daran hat, sich im Falle des Eigeninsolvenzantrags frühzeitig vom Vertrag lösen zu können und den ihm durch die anderweitige Vergabe der Restarbeiten etwa entstehenden Schaden geltend zu machen (ohne nach § 649 Satz 2 BGB gegenüber dem Insolvenzverwalter zur Zahlung einer Vergütung für nicht erbrachte Leistungen verpflichtet zu sein).

2.

§ 8 Abs.2 Nr. 2 Satz 1 VOB/B weicht auch nicht vom gesetzlichen Leitbild des § 649 BGB ab, da diese Klausel nicht die Rechtsfolgen eines freien Kündigungsrechts des Auftraggebers regelt (so § 649 BGB), sondern die Rechtsfolgen einer Kündigung aus wichtigem Grund (= Eigeninsolvenzantrag des Schuldners / Auftragnehmers).

3.

Schließlich, so der BGH weiter, verstößt § 8 Abs.2 Nr. 2 Satz 2 VOB/B auch nicht gegen das Verbot der unangemessenen Benachteiligung des § 307 Abs. 1 und 2 Nr. 1 BGB, da der dort normierte Schadensersatzanspruch des Auftraggebers nicht dem gesetzlichen Regelungsgefüge der verschuldens­abhängigen Haftung widerspricht. Die Schadensersatzverpflichtung des Auftragnehmers besteht in der schuldhaften Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht, namentlich in dem von ihm zu vertretenen Eigeninsolvenzantrag, dem wiederum eine konkrete und ernsthafte Gefährdung der Vertragsinteressen und eine nachhaltige Störung des Vertrauensverhältnisses zum Auftraggeber korrespondiert.

Fazit.

Mit seiner Entscheidung hat der BGH eine seit Inkrafttreten der InsO im Jahre 1999 höchst umstrittene Streitfrage hinsichtlich des Verhältnisses insolvenzbedingter Lösungsklauseln und der nach § 119 InsO angeordneten Unwirksamkeit von Vereinbarungen, die im Voraus die Anwendung von §§ 103 bis 118 InsO ausschließen, gelöst. Darüber hinaus hat der BGH in begrüßenswerter Weise klargestellt, dass die Entscheidung des IX. Zivilsenats (BGH, Urteil v. 15.11.2012 - IX ZR 169/11, BGH ZIP 2013, 274), die die Wirksamkeit einer Lösungsklausel zu Gunsten eines Energielieferanten im Fall der Insolvenz des Kunden verneinte, auf Verträge über die fortlaufende Lieferung von Waren oder Energie beschränkt ist.

Auch wenn der BGH in seiner aktuellen  Entscheidung leider offen lässt, ob auch die weiteren Lösungsgründe des § 8 Abs. 2 Nr. 1 VOB/B wie die Zahlungseinstellung oder Insolvenzverfahrenseröffnung Grundlage einer außerordentlichen Kündigung sein können (seine Erwägungen zur unbeschränkt einstandspflichtigen Vermögenshaftung des Auftragnehmers weisen in diese Richtung), so liegt der große Verdienst der Entscheidung in der umfassenden Interessenabwägung der Vertrags­parteien für den konkreten Vertragstypus VOB-Bauvertrag. Vor allem für den Bankensenat (wegen des fristlosen Kündigungsrechts nach AGB-Banken bei Insolvenzantrag des Kunden bzw. dessen Zahlungseinstellung) und den für das Grundstücks- bzw. Erbrecht zuständigen Zivilsenaten (insbesondere wegen der in notariellen Übergabeverträgen alltäglichen Lösungsklausel für den Fall der Insolvenz des Erwerbers) wird diese Entscheidung richtungsweisend sein.

Ob das Urteil des BGH auf einen unter Geltung des BGB geschlossenen Bauvertrag und bei einem Dreiecksverhältnis im VOB-Bauvertrag für den Generalunternehmer als Auftraggeber des Subunternehmers übertragbar ist (die Interessenlage dürfte vergleichbar sein), bleibt abzuwarten.