Am 8. Juni 2022 feierte das Agrarorganisationen- und Lieferkettengesetz (AgrarOLkG) seinen ersten Geburtstag. Das AgrarOLkG setzt insbesondere die EU-Richtlinie gegen unlautere Handelspraktiken um (Hintergründe und Details gibt es in diesem Video). Als Geburtsgeschenk hat die zuständige Durchsetzungsbehörde, die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE), die Reichweite der Verbote des AgrarOLkG in zwei Fallberichten deutlich eingeschränkt. Der folgende erste Teil des Beitrags befasst sich mit den Ausführungen der BLE in ihrem Fallbericht vom 23. Mai 2022 zur Reichweite des Verbots des Zurückschickens nicht verkaufter Erzeugnisse auf Kosten des Lieferanten.

Zurückschicken nicht verkaufter Waren auf Kosten der Lieferanten grundsätzlich verboten.

Von Beginn an war das absolute Verbot der Rücksendung nicht verkaufter Ware gegen Rückerstattung des Kaufpreises beziehungsweise Beseitigung auf Kosten des Lieferanten ein großer Streitpunkt bei der Umsetzung der UTP-Richtlinie in deutsches Recht (§ 12 AgrarOLkG). Die Richtlinie sieht, anders als das deutsche Gesetz, kein pauschales Verbot vor, sondern verbietet die Risikoverlagerung der Wiederverkäuflichkeit vom Käufer auf die geschützten Lieferanten nur dann, wenn es keine klare Vereinbarung hierzu gibt. Deutschland hat die Richtlinie insoweit überschießend umgesetzt. Folglich sind dem in einigen Produktkategorien (z.B. Obst, Gemüse, Blumen) bislang üblichen Geschäftsmodell die Grundlagen entzogen, wonach der Lieferant nicht verkaufte Ware beim Händler wieder abholt, dem Händler gutschreibt und auf eigene Kosten entsorgt.

Man mag diese Verschärfung der UTP-Richtlinie für sinnvoll halten oder nicht. Das Verbot ist jedenfalls rechtlich eindeutig und wurde von der früheren Landwirtschaftsministerin Klöckner plakativ mit den Worten „wer bestellt, der muss bezahlen“ umschrieben. In ihrem Fallbericht schlussfolgert die BLE dementsprechend: „Eine Risiko- und Kostenverteilung, wonach nicht die Käufer, sondern die Lieferanten einschätzen müssen, wie viele Artikel der verkauften und vertragsgemäß gelieferten Ware die Käufer voraussichtlich weiterverkaufen werden, soll nach dem Verständnis der BLE im Anwendungsbereich des AgrarOLkG nicht Gegenstand der Vertragsfreiheit der Parteien sein.“.

Die Grundregel lautet daher: was der Handel bestellt, muss er bezahlen und sein eigenes Vermarktungsrisiko tragen.

BLE schafft weitläufige Ausnahmetatbestände.

Die BLE nennt jedoch drei im Gesetz nicht aufgeführte Rückausnahmen zu dieser Grundregel:

Ob Vereinbarungen über einen Rückkauf nicht verkaufter Ware unter das Verbot des § 12 AgrarOLkG fallen, soll im Einzelfall insbesondere anhand des sachlichen und zeitlichen Zusammenhangs zwischen Kauf und Rückkauf, Art der Vertragsware und Grad der Verderblichkeit, konkrete Zweitverwendungsmöglichkeit des Lieferanten sowie dem Verhältnis des Rückkaufpreises zum Erstkaufpreis entschieden werden.

Sogenannte „Pay-on-Scan“-Modelle sollen ebenfalls nicht vom Verbot des § 12 AgrarOLkG umfasst sein. Hierbei handelt es sich um einen Spezialfall des Kommissionsgeschäfts, das heiß der Lieferant bleibt Eigentümer der Ware, bis der Endverbraucher die Ware an der Kasse des Händlers erwirbt. Obwohl die BLE zutreffend erkennt, dass die wirtschaftliche Risikoverteilung bei „Pay-on-Scan“-Modellen derjenigen bei einem vollständigen Erwerb der Waren durch den Händler entspricht, nimmt sie die juristische Konstruktion zum Anlass, Pay-on-Scan“-Modelle mangels eines „Erwerbs“ aus dem Anwendungsbereich des Verbots nach § 12 AgrarOLkG auszuklammern. Eine so enge Auslegung steht in einem gewissen Spannungsverhältnis zu anderen Aussagen der BLE, wonach für die Geltung des Verbots beispielsweise unerheblich sein soll, ob der Verkauf unbedingt oder bedingt (z.B. unter der aufschiebenden Bedingung, dass gelieferte Ware durch die Käufer weiterverkauft wird) erfolgt. Im Ergebnis bleibt es jedenfalls dabei, dass die BLE bei „Pay-on-Scan“-Modellen exakt die wirtschaftliche Risikoverteilung akzeptiert, welche § 12 AgrarOLkG verhindern möchte. Mehr noch kommt es bei „Pay-on-Scan“-Modellen zu zusätzlichen Risiken für die Lieferanten, da sie auch das Risiko für Verluste durch Beschädigung und Diebstahl am Verkaufsort tragen. Schließlich stellen sich Folgefragen, beispielsweise ob auch die anderen Verbote der UTP-Richtlinie beziehungsweise des AgrarOLkG auf „Pay-on-Scan“-Modelle keine Anwendung finden, beispielsweise die zwingenden Zahlungsziele des § 11 AgrarOLkG.

Als dritte Fallgruppe nennt die BLE recht pauschal Handelsvertreter- oder Kommissionsgeschäfte, da diese keinen Verkauf, sondern Vermittlungsleisten zum Gegenstand haben. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass bei Handelsvertreter- oder Kommissionsgeschäften die Preissetzungshoheit beim Lieferanten verbleibt, das heißt der Händler seine Verkaufspreise gegenüber den Kunden nicht frei setzen kann. Das „Mehr“ an wirtschaftlichem Risiko des Vermarktungserfolges des Lieferanten wird daher ausgeglichen durch ein „Mehr“ an Gestaltungsfreiheit und direktem Einfluss auf die Vermarkung gegenüber den Endkunden. Insoweit entfällt bei Handelsvertreter- oder Kommissionsgeschäften das für das Verbot des § 12 AgrarOLkG charakteristische Auseinanderfallen von Vermarktungschancen und -risiken.

Fazit und Ausblick.

Die BLE hat die Zielsetzung des Verbots aus § 12 AgrarOLkG zutreffend erfasst. Es ist aber fraglich, ob die Behörde daraus die richtigen Schlüsse gezogen hat. Die weitreichenden Ausnahmen des klaren Verbots sind offensichtlich dadurch motiviert, dass auch viele Lieferanten an den herkömmlichen Geschäftsmodellen mit Rücknahmen und Beseitigung auf Kosten der Lieferanten festhalten wollen. Gleichzeitig hat die BLE aber auch das Offensichtliche festgestellt, dass Lieferanten es bevorzugen, wenn die vom Handel bezogene Ware auch bezahlt wird.

Die Fairnessstandards der UTP-Richtlinie und auch des AgrarOLkG hat der Gesetzgeber jedenfalls aus guten Gründen der Dispositionsfreiheit der Parteien entzogen, da sonst eine auf Verhandlungsmacht der Käufer beruhende Abwärtsspirale der Mindeststandards droht. Es bleibt abzuwarten, wie weit verbreitet das „Pay-to-Scan“-Modell sein und wie es konkret ausgestaltet wird. Bei Lösungen, welche entgegen Sinn und Zweck des § 12 AgrarOLkG den Lieferanten die Vermarktungsrisiken des Handels zuordnen, sollten den Lieferanten über die Preishoheit auch die Vermarktungschancen überlassen werden.


Dr. Kim Manuel Künstner hat als Sachverständiger im Bundestag und Gutachter des Landwirtschaftsministeriums NRW die Umsetzung der UTP-Richtlinie in das AgrarOLkG eng begleitet und berät Lieferanten und Käufer entlang der Lebensmittelwertschöpfungskette zu allen Fragen rund um unlautere Handelspraktiken und Lebensmittelkartellrecht. Aber machen Sie sich doch einfach selbst ein Bild:


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