Mit kürzlich veröffentlichtem Urteil hat das LAG Hessen (Urteil vom 26. Juni 2021 – 14 Sa 1225/20) entschieden, dass nicht nur die „Muss-Angaben“ gem. § 17 Abs. 3 Satz 4 KSchG, sondern auch die „Soll-Angaben“ gem. § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG vor Zugang der Kündigung beim Arbeitnehmer gegenüber der Agentur für Arbeit zu machen sind.

Erfolgt dies nicht, ist die Massenentlassungsanzeige nicht wirksam erstattet, was zugleich zur Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigungen führt.

Rechtliche Ausgangslage.

§ 17 Abs. 1 KSchG verpflichtet den Arbeitgeber bei der Überschreitung von den dort angegebenen Schwellenwerten in Bezug von Betriebsgröße und Entlassungen eine Massenentlassungsanzeige zu erstatten, bevor er die Entlassungen vornimmt, das heißt die Kündigungen ausspricht. Neben dem Anzeigeverfahren muss der Arbeitgeber zuvor das Konsultationsverfahren mit dem zuständigen Betriebsrat (sofern existent) durchführen, dass in § 17 Abs. 2 KSchG normiert ist.

Die Inhalte der Massenentlassungsanzeige regeln insbesondere § 17 Abs. 3 Satz 4 und 5 KSchG.

Muss-Angaben gem. Satz 4 sind der Name des Arbeitgebers, Sitz und Art des Betriebes, Gründe für die geplanten Entlassungen, die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden und in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer, den Zeitraum in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen und die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer.

Gem. Satz 5 sollen in der Anzeige ferner im Einvernehmen mit dem Betriebsrat für die Arbeitsvermittlung Angaben über Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer gemacht werden.

Nicht zuletzt aufgrund dieses Wortlauts und den Hinweisen in den Vordrucken der Agentur für Arbeit zu den „Soll-Angaben“ ging die Praxis zu großen Teilen bisher auch regelmäßig davon aus, dass das Unterlassen der „Soll-Angaben“ für die Wirksamkeit der Massenentlassungsanzeige unschädlich sei.

Die Entscheidung des LAG Hessen.

Das LAG Hessen kommt jedoch mit einer überaus sorgsam begründeten richtlinienkonformen Auslegung des Art. 3 Abs. 1 Unterabsatz 3 der Massenentlassungsrichtlinie (MERL) zu dem Ergebnis, dass zu den dort aufgeführten zweckdienlichen Angaben, die in der Anzeige enthalten sein müssen, kein Unterschied zwischen „Muss-Angaben“ und „Soll-Angaben“ gemacht werde. Die unterschiedliche Formulierung in § 17 Abs. 3 KSchG („müssen“ versus „sollen“) sei lediglich dem Umstand geschuldet, dass der Arbeitgeber stets über alle Muss-Angaben verfügt, während die Soll-Angaben nicht aus seiner Sphäre stammen und daher nur insoweit anzugeben sind, wie sie dem Arbeitgeber vorliegen oder er sie sich (ggf. nach entsprechenden Nachforschungen) beschaffen kann.

Auswirkungen und Empfehlung für die Praxis.

Erfreulicherweise wurde zwischenzeitlich Revision zum BAG eingelegt (anhängig unter Az.: 2 AZR 424/21), sodass die Fragestellung höchstrichterlich geklärt werden kann. Bis dahin könnte es aber noch etwas dauern, insbesondere falls das BAG entscheiden sollte die Rechtsfrage auch noch dem EuGH vorzulegen.

Wer bis dahin nichts riskieren möchte, ist gut beraten die „Soll-Angaben“ vor Kündigungsausspruch mit zu machen. In vielen Fällen, insbesondere bei sorgsam geführten Personalakten, könnte sich der Mehraufwand in Grenzen halten.

Aber auch ein im Einzelfall größerer Mehraufwand dürfte bei einer „Kosten-Nutzen-Analyse“, dem Risiko einer Vielzahl an unwirksamen Kündigungen vorzuziehen sein.