Die Marktmacht von Amazon und anderen marktmächtigen digitalen Playern wie Google, Apple, Facebook und Microsoft (GAFAM) ist sowohl den Behörden und Gerichten, als auch dem Gesetzgeber ein Dorn im Auge. Vor diesem Hintergrund wurden im vergangenen Jahr in Deutschland neue kartellrechtliche Regeln für diese Unternehmen verabschiedet, wonach das Bundeskartellamt nach Feststellung einer überragenden marktübergreifenden Bedeutung eines Unternehmens gewisse Verhaltensweisen, wie die Selbstbevorzugung bei der Einbindung der hauseigenen Dienste, verbieten kann. Auch auf europäischer Ebene wird an neuen Regulierungen der GAFAM in Form des Digital Market Act („DMA“) und Digital Services Act („DSA“) gearbeitet.

Gerade in Deutschland spielt Amazon und sein Marketplace eine entscheidende Rolle für den Verkauf von Waren über das Internet. Im Jahr 2020 erzielte Amazon einen Anteil von insgesamt 53 % am Online-Handel (2019 noch 48 %). Der Amazon Marketplace, auf dem Dritthändler Waren unter Nutzung der Amazon Plattform anbieten können, erreicht mittlerweile einen Marktanteil von über 30 % am gesamten Onlinehandel und macht über 40 % der deutschen Marktplatzumsätze aus.

Vor diesem Hintergrund kann Amazon mittlerweile für den Online-Handel als essentielle Infrastruktureinrichtung angesehen werden, zu der Unternehmen, ähnlich wie bei Häfen oder Flughäfen, grundsätzlich einen Anspruch auf Zugang haben dürften.

Es ist also nicht verwunderlich, dass im vergangenen Jahr die Landgerichte Hannover, München I und Mühlhausen Zugriff auf die Amazon Business Konten für 3 verschiedene Marketplace-Händler angeordnet haben, nachdem Amazon die jeweiligen Verkäuferkonten ohne konkrete Darlegung von Gründen unter Verweis auf einen Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen der Verkaufsplattform gesperrt hatte. Diese Vorgehensweise dürfte beim Amazon Marketplace Praxis haben und keinen Einzelfall darstellen, da bereits im Jahr 2018 vom Bundeskartellamt ein Verfahren gegen Amazon unter anderem wegen Kontoschließungen eingeleitet wurde.

Gerade in Fällen von kleinen und mittleren Unternehmen („KMU“), die beispielsweise ihre Güter ausschließlich im Onlinehandel verkaufen und keine eigene Website betreiben, dürfte dieses Verhalten von Amazon die Existenz der Unternehmen gefährden. Dies gilt umso mehr, als Amazon nicht nur das Verkäuferkonto sperrt, sondern auch das vorhandene Guthaben aus bereits erfolgten Verkäufern einfriert, statt an den Händler auszuzahlen und innerhalb von 30 Tagen die eingelagerten Waren des gesperrten Händlers vernichtet.

In allen drei Fällen nahmen die Gerichte an, dass Amazon auf dem Markt für die Erbringung von Dienstleistungen von Onlinemarktplätzen gegenüber Onlinehändlern in Deutschland über eine marktbeherrschende Stellung verfügt, sodass in der nicht begründeten Sperrung der Konten ein Missbrauch von Marktmacht durch ein marktbeherrschendes Unternehmen nach § 19 Abs. 2 GWB zu sehen ist. Gegen dieses Verhalten stehen den Onlinehändlern, so die Gerichte, entsprechende Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche zu. Begründet wurden diese Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche unter anderem auch damit, dass Amazon durch den pauschalen Verweis auf einen angeblichen Verstoß gegen seine Nutzungsbedingungen den Anforderungen der sogenannten P2B-Verordnung nicht entsprochen habe, wonach die Einschränkung, Aussetzung oder Beendigung einer Geschäftsbeziehung seitens eines Online-Vermittlungsdienstes konkret und nachvollziehbar zu begründen ist.

In der vergangenen Woche hat Amazon schließlich gegen die Verfügung des LG Hannover, das am eindeutigsten eine marktbeherrschende Stellung von Amazon festgestellt hatte, Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe eingereicht. Das ein Unternehmen in einem Verfahren, in dem der Antragsteller ein kleiner Händler ist, derartig große Geschütze auffährt, lässt vermuten, dass Amazon seine Marktmacht um jeden Preis bewahren und auf jedem Weg verhindern möchte, dass ein Präzedenzfall entsteht, auf den sich andere Gerichte künftig bei Entsperrungsbegehren von Marketplace-Händlern beziehen könnten. Denn bisher hat weder das Bundeskartellamt noch die Europäische Kommission festgestellt, dass Amazon tatsächlich ein markthebeherrschendes Unternehmen im Sinne von § 18 GWB ist, auch wenn eine Marktbeherrschung bereits ab einem Marktanteil von 40 % vermutet wird – eine Schwelle, die Amazon seit Langem überschritten hat. Die Verfassungsbeschwerde von Amazon wird auf eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren gestützt, da Amazon vor Erlass der einstweiligen Verfügung in dem Verfahren nicht angehört wurde.

Ob die Verfassungsbeschwerde Erfolg haben wird, wird sich noch zeigen. Amazon Händler sollten sich aber auch bei Erfolg der Verfassungsbeschwerde nicht davon abhalten lassen, ihre Rechte geltend zu machen, da die Verfassungsbeschwerde inhaltlich nichts über das Bestehen des Anspruchs auf Entsperrung des Amazon Business Kontos aussagte, sondern vielmehr spezielle verfahrensrechtliche Aspekte des konkreten Falls vor dem LG Hannover betrifft.

Gerade mit Blick auf das Einfrieren des Guthabens und die unmittelbar drohende Vernichtung der Lagerbestände innerhalb von 30 Tagen, sollten Händler keine Zeit verlieren und sich mit Unterstützung eines Rechtsanwalts mit kartell- und vertragsrechtlicher Expertise gegen die Sperrung wehren. Hierzu stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.