Mit Beschluss vom 27. September 2022 (KZB 75/21) hat der Kartellsenat des BGH klargestellt, dass Schiedssprüche im Hinblick auf zwingende Verbotsnormen des Kartellrechts (hier: missbräuchliche, einseitige Verhaltensweisen nach §§ 19-21 GWB) in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht einer uneingeschränkten Kontrolle durch die ordentlichen Gerichte unterliegen.

Damit entscheidet der Bundesgerichtshof eine zumindest auf Ebene der deutschen Oberlandesgerichte lange Zeit umstrittene Frage zur Reichweite des Verbots der révision au fond. Dass kartellrechtliche Sachverhalte schiedsfähig sind und zwingende kartellrechtliche Verbotsnormen der EU und Deutschlands zum ordre public gehören, ist seit längerer Zeit anerkannt. Über Prüfungstiefe und -breite kartellrechtlicher Schiedsurteile bestand bis zum vorliegenden Beschluss Uneinigkeit. Insbesondere sind divergierende Rechtsauffassungen unterschiedlicher OLG-Senate zu verzeichnen. Auch international wird die Frage nicht einheitlich beantwortet. Zumindest für Deutschland hat der BGH nunmehr Klarheit im Sinne einer vollen Überprüfbarkeit in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht geschaffen.

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Sachverhalt und Verfahrenshergang.

Die Antragsgegnerin ist Eigentümerin eines Waldes, zu dem zwei Steinbrüche gehören. Jeweils einen dieser Steinbrüche hat sie seit langer Zeit an die Antragstellerin und an deren Konkurrentin zum Zwecke der Gewinnung von gebrochenem Naturstein verpachtet. Da sich der Wettbewerb zwischen der Antragstellerin und der Wettbewerberin aus Sicht der Antragsgegnerin nachteilig auf die Höhe der umsatzbasierten Pacht auswirkte, kündigte sie den Pachtvertrag der Antragstellerin vor Ende der Laufzeit nach § 594b BGB. Durch die Kündigung sollte die Antragstellerin dazu gebracht werden, ihre Anlagen im Steinbruch an ihre Konkurrentin zu veräußern und als Wettbewerberin aus dem Markt für gebrochenen Naturstein auszuscheiden, so dass der Pachtzins der Antragsgegnerin aufgrund des Wegfalls des Wettbewerbs ansteigt.

Die Antragstellerin wehrte sich gegen diese Kündigung u.a. mit kartellrechtlichen Erwägungen. Sie erwirkte unter anderem die Verhängung eines Bußgeldes des Bundeskartellamtes gegen die Antragsgegnerin. Die Antragsgegnerin leitete gleichwohl zur Durchsetzung der Kündigung das nach Pachtvertrag vorgesehene Schiedsverfahren ein. Das Schiedsgericht hielt die Kündigung für wirksam und verwarf die kartellrechtlichen Einwände der Antragstellerin. An die kartellrechtliche Bewertung des Bundeskartellamtes hielt es sich jedenfalls für eine mittlerweile erneut ausgesprochene, inhaltsgleiche Kündigung der Antragsgegnerin nicht gebunden.

Gegen das Schiedsurteil wendete sich die Antragstellerin mit Antrag auf Aufhebung des Schiedsurteils an das OLG Frankfurt. Der erkennende Schiedssenat lehnte eine kartellrechtliche Prüfungskompetenz der staatlichen Gerichte aufgrund der Unvereinbarkeit mit dem Wesen der Schiedsgerichtsbarkeit als privatautonomer Streitentscheidung ab.

Gegen diese Entscheidung legte die Antragstellerin Rechtsbeschwerde zum BGH ein.

Entscheidung und Argumente des BGH.

Der BGH hob den Beschluss des OLG Frankfurt auf, soweit er sich auf die kartellrechtliche Zulässigkeit der Kündigung vor Ablauf des Pachtvertrages bezog. Nach Ansicht des erkennenden Kartellsenats des BGH verstößt das ursprüngliche Schiedsurteil insoweit gegen die öffentliche Ordnung („ordre public“) und ist nach § 1059 Abs. 2 Nr. 2b ZPO aufzuheben.

Das Schiedsgericht habe verkannt, dass auch die zweite Kündigung zum Zwecke der Erzwingung einer Übertragung des Geschäftsbetriebs von der Antragstellerin auf deren Konkurrentin einen Verstoß gegen § 21 Abs. 3 Nr. 2 GWB darstelle.

Das OLG Frankfurt wiederum habe insoweit den Prüfungsmaßstab von Schiedsurteilen verkannt, der bei zwingenden Verbotsnormen des Kartellrechts in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht uneingeschränkt sei.

Der BGH begründet seine Entscheidung des unbeschränkten Prüfungsmaßstabs zunächst mit einem Festhalten an seiner Entscheidungspraxis zur früheren Rechtslage nach § 1041 Abs. 1 Nr. 2 ZPO aF (BGHZ 46, 365, 370; BGH, Urteil vom 27. Februar 1969 - KZR 3/68, WuW/E BGH 1000, 1001 - Fruchtsäfte) die auch unter der aktuellen Nachfolgeregelung in § 1059 Abs. 2 Nr. 2b ZPO fortgelten soll.

Für eine vollständige Überprüfung spreche auch, dass kartellrechtliche Verbotsnormen wie §§ 19-21 GWB nicht nur dem Interesse der Parteien der Schiedsabrede dienen, sondern der Wahrung des öffentlichen Interesses an einem funktionierenden Wettbewerb. Insoweit verfüge das Bundeskartellamt bei staatlichen Verfahren zur Wahrung dieses Interesses über umfassende Beteiligungsbefugnisse nach § 90 Abs. 1 GWB. Staatliche Gerichte seien zudem befugt bzw. verpflichtet, Vorlagefragen zu kartellrechtlichen Normen an den EuGH zu richten. Bei Schiedsverfahren ist weder eine Beteiligung des Bundeskartellamtes noch eine Anrufung des EuGH möglich.

Gegen eine Beschränkung auf eine Evidenzkontrolle kartellrechtlicher Schiedsurteile führt der BGH auch das Argument der Komplexität der Anwendung der kartellrechtlichen Verbotsnormen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht an, so dass eine offensichtliche Verletzung bei der Anwendung dieser Normen nur in wenigen Fällen in Betracht käme.

Des Weiteren zieht der BGH den Willen des Gesetzgebers heran. Bis Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung des Schiedsverfahrensrecht vom 22. Dezember 1997 sah § 91 Abs. 1 S. 1 GWB vor, dass Schiedsverträge in Beug auf kartellrechtliche Streitigkeiten nur dann wirksam waren, wenn sie den Parteien der Schiedsvereinbarung hinsichtlich der kartellrechtlichen Auseinandersetzungen ein Wahlrecht zwischen ordentlichen Gerichten oder Schiedsgerichten ließen. Die Streichung des alten § 91 Abs. 1 S. 1 GWB und die damit geschaffene generelle Schiedsfähigkeit kartellrechtlicher Streitigkeiten sei damit begründet worden, dass Schiedsgerichte Kartellrecht in gleicher Weise wie ordentliche Gerichte zu beachten haben und eine Kontrolle der Schiedssprüche durch ordentliche Gerichte gewährleistet sei.

Wichtigstes Argument des BGH auch für die Beseitigung der bestehenden Unsicherheiten und Auslegungsspielräume der Oberlandesgerichte ist jedoch die Klärung der Reichweite der Prüfung einer offensichtlichen Unvereinbarkeit mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts, die der BGH auch in jüngeren Urteilen im Rahmen des § 1059 Abs. 2 Nr. 2b ZPO als Obersatz seiner Prüfung verwendet (zuletzt etwa BGH, Beschluss vom 4. November 2021 – I ZB 54/20 –, Rn. 19, juris). Die „Offensichtlichkeit“ wurde bisweilen so interpretiert, dass nicht jeder Verstoß gegen Gesetze genügt, die zum ordre public gehören. Dies stellt der BGH nunmehr jedoch unzweifelhaft klar. Jede fehlerhafte Anwendung der zwingenden Verbote des Kartellrechts führt zum Verstoß gegen die öffentliche Ordnung, unabhängig davon, ob die fehlerhafte Anwendung offenkundig oder offensichtlich ist.

Die Rechtsprechungslinie des BGH ist allerdings bereits in der Vergangenheit auf Kritik gestoßen. Faktisch gliedert der BGH Schiedssprüche mit kartellrechtlichem Bezug vollständig in die ordentliche Gerichtsbarkeit ein. Spezifische Vorteile der Schiedsgerichtsbarkeit, wie kurze Verfahrensdauer und Besetzung der Schiedsgerichte mit Spezialisten, entfallen bei kartellrechtlichen Schiedssprüchen jedenfalls ab der „kartellrechtlichen Berufung“ bei den Oberlandesgerichten. Der BGH weicht damit auch von der Entscheidungslinie in anderen EU-Mitgliedstaaten ab. Insbesondere in einer etwas älteren Entscheidungen beschränkt der französische Cour de Cassation die Kontrolle auf offensichtliche Verstöße gegen das (EU-)Kartellrecht. Der EuGH hat die Frage mangels Entscheidungserheblichkeit bisher offen gelassen, während Generalanwalt Wathelet unter Kritik der Entscheidungspraxis in Frankreich denselben Maßstab befürwortet wie der BGH.

Funktionelle Zuständigkeit.

Der Antrag auf Aufhebung des Schiedsspruch beim OLG Frankfurt wurde gezielt als Kartellrechtssache mit Bitte um Verweis an einen Kartellsenat des OLG eingereicht. Gleichwohl entschied ein Schiedssenat des OLG Frankfurt. Folgerichtig war zunächst der XI. Zivilsenat des BGH für die Rechtsbeschwerde zuständig. Das Verfahren wurde sodann aber intern an den Kartellsenat des BGH abgegeben.

Zur Frage der funktionellen Zuständigkeit bei den Oberlandesgerichten im Falle eines Aufhebungsantrages gegen einen kartellrechtlichen Schiedsspruch verhält sich der Beschluss des BGH nicht. Aus der kartellrechtsspezifischen Auslegung des BGH inklusive Hinweis auf die Beteiligungsrechte des Bundeskartellamtes nach § 90 GWB, könnte geschlussfolgert werden, dass Aufhebungsanträge gegen kartellrechtliche Schiedssprüche eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit im Sinne des § 87 GWB (analog) sind. Dann wären aber die Landgerichte ausschließlich zuständig. Die Kartellsenate der Oberlandesgerichte sind nach § 91 GWB nur für Berufung gegen Endurteile und Beschwerden gegen sonstige Entscheidungen im Sinne des § 87 GWB zuständig. Außerhalb von Behördenentscheidungen des Bundeskartellamtes sind die Kartellsenate jedoch nicht Eingangsinstanz für Kartellzivilverfahren.

Insoweit stellt sich die Frage, ob im Falle eines Antrags auf Aufhebung eines Schiedsspruchs die hierfür originär zuständigen OLG-Schiedssenate die Verfahren an die OLG-Kartellsenate abgeben werden. Jedenfalls sollte der Gesetzgeber in diesem Bereich bei Gelegenheit nachbessern und Klarheit schaffen.

Zusammenfassung und Ausblick.

Schiedssprüche unterliegen bezüglich kartellrechtlicher Verbotsnormen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht einer uneingeschränkten Kontrolle durch ordentliche Gerichte. Jede fehlerhafte Anwendung einer zwingenden kartellrechtlichen Verbotsnorm ist damit ein Verstoß gegen den ordre public im Sinne des § 1059 Abs. 2 Nr. 2b ZPO. Ob die fehlerhafte Anwendung durch das Schiedsgericht offensichtlich oder offenkundig erfolgte, spielt hierfür keine Rolle.

Die Entscheidung des BGH wird reichweitende Konsequenzen für Schiedssprüche bei kartellrechtsgeneigten Sachverhalten haben, wie etwa typischerweise bei Sportverbänden, die regelmäßig qua ihrer „Monopolstellung“ Normadressaten des Verbots des Missbrauchs einer starken Marktstellung im Sinne der §§ 19, 20 GWB sind.


Dr. Kim Manuel Künstner vertritt Unternehmen zu allen kartellrechtlichen Fragestellung vor deutschen Gerichten, dem EuG, dem EuGH sowie vor Schiedsgerichten und berät zu vertraglichen Gestaltungen zur Vermeidung bzw. Optimierung potentieller kartellrechtlicher Auseinandersetzungen.