Das Bundeskartellamt hat Anfang 2020 Kartellverfahren gegen mehrere Großhändler von Pflanzenschutzmitteln mit der Verhängung von Bußgeldern in Gesamthöhe von EUR 154,6 Millionen abgeschlossen. Die Wettbewerbsbehörde wirft den Großhändlern vor, zwischen 1998 und Frühjahr 2015 Preise für Pflanzenschutzmitteln abgesprochen zu haben.

Landwirte und andere Abnehmer von Pflanzenschutzmitteln, die in dieser Zeit Pflanzenschutzmittel bezogen haben und noch über Nachweise des Bezugs und der gezahlten Preise haben, sollten vor dem Hintergrund des Kartells analysieren, ob sie Kartellschadensersatzansprüche anmelden können beziehungsweise dies auch wirtschaftlich sinnvoll ist.

Gerne unterstützen wir Sie unverbindlich bei dieser Analyse. Im Folgenden bieten wir zudem einen Überblick zu häufig gestellten Fragen:

Welche Großhändler waren an den Absprachen beteiligt?

  • AGRAVIS Raiffeisen AG, Hannover/Münster.
  • AGRO Agrargroßhandel GmbH & Co. KG, Holdorf.
  • BayWa AG, München.
  • Beiselen GmbH, Ulm (am Kartell beteiligt, als „Kronzeugin“ jedoch ohne Bußgeld; Kartellschadensersatzansprüche aber gleichfalls möglich).
  • BSL Betriebsmittel Service Logistik GmbH & Co. KG, Kiel.
  • Getreide AG, Hamburg.
  • Raiffeisen Waren GmbH, Kassel.
  • ZG Raiffeisen eG, Karlsruhe.
 

  • Großhändler sprachen sich bei Pflanzenschutzmitteln über Brutto-Preise aber auch Netto-Netto-Preise ab
  • Abnehmern von Pflanzenschutzmitteln zwischen 1998 und 2015 stehen voraussichtlich Kartellschadensersatzsprüche zu
  • Kartellverstoß der Großhändler bereits gerichtsfest durch Kartellamts belegt
  • Unverbindliche Analyse der Ansprüche wird empfohlen

Worauf bezogen sich die Kartellabsprachen?

Die Absprachen bezogen sich in erster Linie auf einheitliche Preislisten für Pflanzenschutzmittel, die durch gemeinsame Kalkulationen entstanden. Teilweise übernahmen die Großhändler die abgestimmten Preislisten und setzten einfach ihr Logo hinzu.

Darüber hinaus wurden für zentrale Produkte aber bisweilen auch zu gewährende Rabattspannen und Abgabepreise gegenüber Einzelhändlern ohne weitere Rabattierung (Netto-Netto-Preise) abgesprochen.

Wer kann kartellrechtliche Schadensersatzansprüche geltend machen?

Insbesondere direkte und indirekte Abnehmer (z.B. Landwirte, die bei Einzelhändlern beziehen) der kartellbeteiligten Großhändler, die zwischen 1998 und dem Frühjahr 2015 Pflanzenschutzmittel bezogen haben, können auf das Kartell zurückzuführende, künstliche Preiserhöhung als Schaden ersetzt verlangen.

Wie hoch fallen die Schadensersatzansprüche aus?

Der Anspruch auf Kartellschadensersatz ergibt sich aus der Differenz zwischen dem tatsächlich für Pflanzenschutzmittel gezahlten Kartellpreis und dem hypothetischen Wettbewerbspreis, der ohne Kartellabsprachen zustande gekommen wäre. Wie hoch diese Differenz ist, kann erst nach einer Analyse der konkret gezahlten Preise erörtert werden. Als Daumenregel geht man jedoch von einem kartellbedingten Schaden in Höhe von 10% des Kaufpreises aus.

Hinzu kommen können erhebliche Zinsforderungen, welche die Schadenssumme weiter deutlich erhöhen. Nicht selten um bis zu 50 % der eigentlichen Schadenssumme.

Sind die Ansprüche nicht bereits verjährt?

Gerade bei Ansprüchen bezogen auf die Anfangszeit des Kartelles ab 1998 droht Verjährung beziehungsweise könnte diese bereits eingetreten sein. Zu bedenken sind jedoch die langen Verjährungszeiten von 10 Jahren bei fehlender Kenntnis über das Kartell und die Hemmung der Verjährung während der Untersuchung durch das Bundeskartellamt ab 2015 bis zum rechtskräftigen Abschluss der Bußgeldverfahren. Daher bestehen sehr gute Aussichten darauf, dass auch ältere Ansprüche derzeit noch nicht der Verjährung unterliegen. Dies bedarf aber stets der Prüfung im Einzelfall.

Müssen betroffene Abnehmer den Kartellverstoß der Großhändler beweisen?

Nein, soweit das Bundeskartellamt den Kartellverstoß in seinen Bußgeldbescheiden gegen die am Kartell beteiligten Großhändler festgestellt hat, sind die Gerichte in Verfahren über Kartellschadensersatzansprüche an diese Feststellungen gebunden.

Müssen betroffene Abnehmer ihre kartellbedingten Schäden beweisen?

Ja, trotz bestehender Beweiserleichterungen ist grundsätzlich durch die Abnehmer nachzuweisen, ob und in welcher Höhe kartellbedingt überhöhte Preise gezahlt wurden. Die Kartellanten stellen sich häufig auf den Standpunkt, dass sich die Preisabsprachen im Ergebnis nicht auf die konkreten Preise des einzelnen Abnehmers ausgewirkt hätten. So hat auch im vorliegenden Fall ein am Kartell beteiligter Großhändler bereits in einer Pressemitteilung erklärt, dass seinen Kunden kein Schaden entstanden sei. Freilich passt dies nicht zu den Feststellungen des Bundeskartellamtes, wonach sich die Absprachen eben teilweise auch auf Netto-Netto-Preise bezogen. Des Weiteren ist aufgrund des hohen Wettbewerbsdrucks auf Großhändler-Ebene davon auszugehen, dass diese ohne Preisabsprachen im Ergebnis (noch) günstigere Netto-Netto-Preise hätten anbieten müssen.

Ich habe nicht direkt bei den genannten Großhändlern bezogen: stehen mir trotzdem Kartellschadensersatzansprüche zu?

Jeder Schaden, der kausal auf den Kartellabsprachen beruht, ist von den am Kartell beteiligten Großhändlern zu ersetzen. Dies betrifft auch kartellbedingte Preiserhöhungen, die Einzelhändler an ihre Kunden weitergereicht haben. Daher bestehen auch beim indirekten Bezug von den betroffenen Großhändlern gute Aussichten auf Kartellschadensersatzansprüche.

Wie können betroffene Abnehmer Schadensersatzansprüche anmelden?

Betroffene Abnehmer sollten analysieren, ob und in welchem Umfang sie kartellbetroffene Waren bezogen haben und diesen Bezug durch Rechnungen, Belege, Warenwirtschaftssysteme, etc. nachweisen können. Weiterhin sollte geprüft werden, ob mögliche Ansprüche eventuell bereits verjährt sind oder kurzfristige Maßnahmen notwendig sind, um die Verjährungsgefahr zu bannen. Anschließend sollte eine Kosten-Nutzen-Analyse erfolgen, welche die Durchsetzbarkeit der Ansprüche in ein realistisches Verhältnis zu den möglichen Kosten der Rechtsverfolgung setzt.

Kann man die Kosten- und Prozessrisiken durch Abtretung an einen Prozessfinanzierer bzw. ein Klagevehikel vermeiden?

Teilweise werden im Markt vermeintlich „risikofreie“ Abtretungsmodelle angeboten. Dabei sollen die Kartellgeschädigten ihre Ansprüche gegen die Kartellanten an ein Klagevehikel abtreten, welches mit einem Prozessfinanzierer die Ansprüche gebündelt durchsetzt und anschließend – nach Abzug der eigenen Provision – an die Kartellgeschädigten auszahlt.

Der größte Nachteil der Geltendmachung der Kartellschadensersatzansprüche über solche Abtretungskonstrukte ist, dass das LG München diese Konstruktion als Verstoß gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) bewertet. Die Abtretungen sind damit nichtig. Eine Klage gegen das LKW-Kartell wurde daher abgewiesen und hatte keine verjährungshemmende Wirkung. Es besteht daher bis zur Klärung durch den BGH eine erhebliche Unsicherheit, ob in Deutschland überhaupt über ein solches Konstrukt Kartellschadensersatz wirksam verlangt werden kann. Das Abtretungsmodell erschafft damit derzeit ein prozessuales Risiko, welches es ohne das Konstrukt erst gar nicht gibt.

Im Übrigen sind diese Modelle regelmäßig sehr teuer, weil sie einen sehr hohen Anteil der eingeklagten Summe für sich beanspruchen (regelmäßig über 30% der Schadenssumme auch bezogen auf die Zinsen). Verfolgt man die Klagen dagegen selbstständig, ist die Kostenlast in aller Regel deutlich niedriger und kann bei erfolgreichen zudem zumindest zu großen Teilen von den beklagten Kartellanten erstattet verlangen. Dies gilt sowohl für Anwalts- als auch die Gutachterkosten.

Damit bleibt als Vorteil des Abtretungsmodells, dass die Kartellgeschädigten kein Kostenrisiko tragen, wenn die Klage verloren wird. Warum aber sollte ein Prozessfinanzierer eine Klage finanzieren, an deren Erfolg er selbst nicht glaubt?


Ihr Ansprechpartner bei SR.

Dr. Kim Manuel Künstner berät Unternehmen zu allen Fragen des Kartellschadensersatzes und vertritt Unternehmen in Kartellschadensersatzprozessen vor Gericht sowohl auf Kläger- als auch Beklagtenseite.


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