Die nachfolgenden beiden Fälle betreffen zwei "Klassiker" des Vergaberechts: die Auslegung einer Bieterfrage als Rüge oder einfache Frage bzw. die Rückmeldung des Auftrags des öffentlichen Auftraggebers (öAG) als Zuschlag.

Sachverhalt.

Dem ersten Sachverhalt lag eine europaweite Ausschreibung zur „planmäßigen Instandhaltung eines Schiffes“ zugrunde. Unter der Überschrift „Verfahrensgrundsätze“ gab der öAG den qualifizierten Teilnehmern vor, dass die vertraglichen Regelungen des in den Ausschreibungsunterlagen befindlichen Vertrages nicht verhandelbar sein. Das Verfahren sah Bieterfragen vor und ein Bieter meldete sich, dass er das Vorgehen des öAG in mehreren Punkten für fehlerhaft halte, dass er den „Wettbewerb um Kernleistungen des Vergabeverfahrens kritisch gestört“ sehe. Er bezweifelte die Machbarkeit und bemerkte, dass ihm der vorgesehene neue Vertrag hinsichtlich der beabsichtigten Reparaturbeauftragten befremdlich erscheine. Er schloss die Kritikpunkte jeweils mit der Frage: „Wie stellt sich die Auftraggeber im Wettbewerbsverfahren verantwortlich zu dieser Problematik?“ Der öAG beantwortet die Fragen, ändert die Unterlagen jedoch nicht. Der fragende Bieter erhielt ein Informationsschreiben nach § 134, dass ein anderer Wettbewerber den Zuschlag erhalten solle, was der Bieter rügte. Der Auftraggeber der öAG half der Rüge nicht ab und beantragte ein Nachprüfungsverfahren.

Inhalt der 1. Entscheidung.

Erfolgreich! Die Vergabekammer des Bundes (VK1-34/20) entschied, für die Frage, ob es sich um eine Rüge oder eine Bieterfrage handele, komme es nicht darauf an, wie der Antragssteller selbst seine Schreiben verstanden müssen wolle. Die Vergabenachprüfungsinstanzen haben objektiv zu beurteilen, ob ein Bieterverhalten eine Rüge im Sinne des § 160 Abs. 3 GWG darstelle und dies stehe nicht zur Diskussion der Beteiligten. Anderenfalls nämlich könnte ein Bieter argumentieren, er habe nur Fragen gestellt, aber keine Rügen erhoben und somit einer „echten“ Rüge zuwarten, ob er den Zuschlag erhält oder nicht. Dass wäre jedoch ein Taktieren mit einer Rüge und gesetzgeberisch nicht gewollt.

Mit einer Rüge bringe ein Bieter zum Ausdruck, dass er die Vorgehensweise oder ein Verhaltensauftragsgebers beanstanden wolle und dass er hierin einen Vergaberechtsverstoß sieht, um dessen Abhilfe nachgesucht wird Damit die Rüge nicht unnötig erschwert und damit der Rechtsschutz nicht unangemessen behindert wird, seien die Anforderungen an Form und Inhalt gering. Unschädlich ist, dass das Schreiben als Rüge bezeichnet wird oder nicht, ob die Normen zutreffend bezeichnet werden oder nicht. Vorliegend ist die Scheidelinie daher, ob sich der Inhalt der Bietermeldung als bloße (Verständnis-) Frage oder aber eine Äußerung rechtlicher Zweifel sein soll, dass der Bieter die Vorgehensweise des öAG für vergaberechtsfehlerhaft hält, wo er ernstgemeint die Forderung verbindet, einen solchen Verstoß zu beseitigen.

Sachverhalt.

Das klagende Land verlangt Schadenersatz wegen Nichterfüllung eines Vertrages von einer ARGE. Strittig ist, ob zwischen Land und ARGE ein Vertrag über förmlich ausgeschriebene Dienstleistungen zustande gekommen ist. Das Land erklärte mit zu Zuschlagsschreiben vom 17. März 2015, dass die ARGE den Zuschlag erhalten werde. Mit Ausführung der Leistung solle bereits zum 1. April 2015 begonnen werden. Des Weiteren bat das Land bestimmte Schriftstücke unterzeichnet zurückzusenden, insbesondere eine Ausfertigung des Vertrags samt Anlagen. Das Schreiben wurde vorab per Telefax ohne Anlagen übersandt, nachfolgend per Einschreiben mit Anlagen. Der Vertrag war nicht Bestandteil der Ausschreibungsunterlagen gewesen und die ARGE erhielt ihn erstmals mit dem Zuschlagsschreiben.

Sie kam der Bitte um Vertragsunterzeichnung nicht nach. Das Land bat am 26. März 2015 per E-Mail um Rückgabe des unterzeichneten Vertrags und die vertragsgemäße Aufnahme der Arbeiten zum 1. April 2015, woraufhin die ARGE am selben Tag erklärte, sie lehne die Unterzeichnung des „Vertragsvorschlags“ ab. Mit Schreiben vom folgenden Tag teilte das Land mit, eine Unterzeichnung sei nicht zwingend notwendig, da ein Vertrag bereits auf Grundlage des Angebots zustande gekommen sei. Dem widersprach die ARGE mit E-Mail vom gleichen Tag.

Das Land klagte sodann auf Zahlung von EUR 488.672,29 wegen durch anderweitige Beauftragung entstanden Mehrkosten. Es stellt sich auf den Standpunkt, es habe das abgegebene Angebot bereits mit Zuschlagserklärung unverändert angenommen.

Inhalt der 2. Entscheidung.

Das OLG Celle (Urteil vom 29. Dezember 2022, 13 U 3/22) sah das ganz anders! Es stützt sich auf ganz allgemeine Regeln des allgemeinen Schuldrechts des BGB: Danach kommt ein Vertrag durch Angebots- und Annahmeerklärungen zustande, wenn sie übereinstimmen. Die Annahme ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung und muss die vorbehaltlose Akzeptanz des Antrags zum Ausdruck bringen.

Dass leistete das Zuschlagsschreiben nicht, da es zwar auf das vorliegende Angebot reagierte, dieses aber nicht auf dem „Vertragstext“ gründete, der erst nach dem Zuschlagsschreiben übersandt wurde. Daher liegt nach § 150 Abs. 2 BGB eine Ablehnung des vorgelegten Angebots und die Übermittlung eines neuen Angebots – durch das Land. Das Angebot des Bieters hingegen war als abgelehnt zu werten und gemäß § 146 BGB erloschen.

Tipp.

Der zivilrechtliche Vertrag wird durch die Zustellung der Zuschlagsentscheidung geschlossen. Es bedarf daher rechtlich keiner Vertragsunterzeichnung. Soll ein ausformulierter Vertragstext Grundlage der zivilrechtlichen Zusammenarbeit zwischen öffentlichem Auftraggeber und Bieter werden, ist dieser ausformulierte Vertrag in den Ausschreibungsunterlagen vorzusehen und dem Bietenden bereitzustellen. Nur dann kann gewährleistet werden, dass das Angebot und das darauffolgende Zuschlagsschreiben inhaltlich deckungsgleich sind und ein Vertrag mit diesem ausformulierten Inhalt geschlossen wird. Ansonsten weichen Angebot und (nachlaufender) Vertragstext auseinander, die Vertragserklärungen stimmen nicht überein und es fehlt am Vertragsschluss.


Christoph Just LL.M. ist Partner unserer Sozietät in Frankfurt am Main und Fachanwalt für Steuer- und Verwaltungsrecht. Seine Praxis fokussiert sich auf Prozessführung (staatliche und Schiedsgerichtsbarkeit) wie auch auf regulatory (Umwelt, Energie, Vergabe).