Anlässlich der Internationalen Grünen Woche und vor dem Hintergrund der Bauernproteste überbieten sich die Parteien mit Vorschlägen, wie man den Landwirten finanziell unter die Arme greifen kann. Plakativ wird dies häufig in Zusammenhang mit sogenannten „Billiglebensmitteln“ gebracht. Damit sind auch zwei Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik des Unionsrechts angesprochen, namentlich die Gewährleistung einer angemessenen Lebenshaltung der landwirtschaftlichen Bevölkerung insbesondere durch Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens (Art. 39 Abs. 1 lit. b AEUV) und die Belieferung der Verbraucher zu angemessenen Preisen (Art. 39 Abs. 1 lit. e AEUV). Zum generellen Verhältnis zwischen gemeinsamer Agrarpolitik und Kartellrecht habe ich mich im Rahmen der Expertenanhörung vor dem Deutschen Bundestag geäußert.

Strukturelle Ursachen geringer Einkommen der Landwirtschaft.

Vergleicht man die derzeitigen parteipolitischen Äußerungen, scheint Konsens darüber zu bestehen, dass es eher an der angemessenen Lebenshaltung der landwirtschaftlichen Bevölkerung hapert, denn an angemessenen Verbraucherpreisen. Analysiert man die Hauptursachen für die teilweise sehr niedrigen Preise, die den Erzeugern gezahlt werden, sind zwei Faktoren von besonderem Interesse: die Preise insbesondere für Milch beispielsweise sind sehr niedrig, weil es ein Überangebot im Markt gibt. Die Industrialisierung der Landwirtschaft hat die Produktivität stark erhöht. Durch die Öffnung der Märkte werden diese Mengeneffekte nicht mehr regulatorisch eingefangen: Butterberge und Milchseen gehören längst der Vergangenheit an.

Neben diesem Preisdruck aufgrund des Überangebots haben die Landwirte gegenüber der Industrie und (mittelbar) dem Handel in aller Regel eine schwache Verhandlungsposition. Dieses Gefälle der Verhandlungspositionen hindert die Landwirte daran, trotz des Überangebotes höhere Margen zu verhandeln. Bei der Bewertung der aktuellen parteipolitischen Lösungsansätze zur effizienten Verbesserung der Einkommen der Landwirte ist diese (vereinfacht dargestellte) Struktur der Versorgungskette aus Erzeugerperspektive zu berücksichtigen.

Die parteipolitischen Lösungsansätze.

Die verschiedene Vorschläge zur Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner setzt auf die Umsetzung der Richtlinie gegen unlautere Geschäftspraktiken („Unfair-Trading-Practices“; UTP-Richtlinie) und möchte auch das bereits geltende Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis (§ 20 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB) unter die Lupe nehmen.

Die Grünen haben einen Antrag in den Bundestag eingebracht, der einen Maßnahmenkatalog mit unterschiedlichen Ansätzen vorsieht. Wie auch bei Frau Klöckner gehören die Umsetzung der UTP-Richtlinie und eine Überprüfung des Verbots des Verkaufs unter Einstandspreis dazu. Allerdings fordern die Grünen zur Prüfung auf, ob die UTP-Richtlinie durch Deutschland überschießend umgesetzt und das Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis auf ein Verbot des Verkaufs unter Erzeugerkosten erweitert werden sollte. Deutlich weitergehend ist zudem der Vorschlag der Grünen, die Bereichsausnahme vom Verbot wettbewerbs-beschränkender Vereinbarungen (Art. 101 AEUV; § 1 GWB) zugunsten der Landwirtschaft zu erweitern (§ 28 GWB), das heißt Landwirten soll in weiterem Umfang als bislang ermöglich werden, sich über wettbewerbsrelevante Faktoren wie Mengen bis hin zu Preisen abstimmen zu dürfen.

Auch Bodo Ramelow schlägt vor, dass der Staat Rahmenbedingungen schafft, damit Mindestpreise zugunsten der Landwirte greifen. Wie dies erreicht und die Mindestpreise berechnet werden sollen, geht aus den bisherigen Äußerungen allerdings nicht hervor.

Die trotz des parteiübergreifenden Konsens durchaus unterschiedlichen Ansätze sollen im Folgenden vor dem Hintergrund des Wettbewerbsrechts und der oben aufgezeigten strukturellen Probleme andiskutiert werden:

UTP-Richtlinie: Schmerzenslinderung ohne Preiseffekt?

Die UTP-Richtlinie enthält im Wesentlichen das absolute Verbot von zehn Handelspraktiken (zum Beispiel Zahlung später als 30 Tage für verderbliche Waren oder Agrar- und Lebensmittelprodukte oder einseitige Vertragsänderungen durch den Käufer) und das relative Verbot weiterer sechs Handelspraktiken (zum Beispiel Bezahlung des Lieferanten für die Lagerung, Auslegen beziehungsweise Listung der Ware oder Rückgabe von nicht verkauften Produkten), die nur zulässig sind, wenn diese zuvor ausdrücklich und in verständlicher Weise zwischen Lieferant und Abnehmer vereinbart wurden. Geschützt sind nur kleine und mittlere Lieferanten, wobei der Schutzbereich für Unternehmen bis zu EUR 350 Mio. Jahresumsatz gilt. Der Schutz vor unlauteren Handelspraktiken gilt für alle Lieferanten entlang Lebensmittelversorgungskette, das heißt im Verhältnis zwischen Erzeuger und Industrie ebenso wie im Verhältnis zwischen Industrie und Handel, sofern der vom Jahresumsatz abhängige Schutzbereich jeweils eröffnet ist.

Die UTP-Richtlinie ist daher geeignet, bestimmte Handelspraktiken auszuschließen, die die Landwirte bislang belastet haben und die aufgrund der ungleichen Verhandlungsposition nicht privatautonom wegverhandelt werden konnten. Die UTP-Richtlinie ändert daher strukturell nichts an dem Verhandlungsungleichgewicht, sondern korrigiert lediglich bestimmte Ergebnisse. Letzteres bezieht sich zudem nie auf die verhandelten Preise. Es ist vielmehr nicht ausgeschlossen, dass die verbotenen Handelspraktiken durch noch härtere Preisforderungen kompensiert werden sollen. Es ist daher nicht zu erwarten, dass die UTP-Richtlinie den Preisdruck von den Landwirten nimmt.

Verbot des Verkaufs unter Erzeugerkosten würde Kostendruck erhöhen.

Das deutsche Kartellrecht kennt bereits heute das Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis (§ 20 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB). Demnach dürfen Lebensmittel nicht unterhalb des Einkaufspreises an Verbraucher abgegeben werden, den die Händler selbst an ihre Lieferanten zahlen. Das Verbot richtet sich ausschließlich gegen den Handel und soll eigentlich mittelständische Händler vor ruinösen Kampfpreisstrategien größerer Lebensmittelhändler schützen. Bereits der Schutzzweck der Vorschrift geht daher in eine völlig andere Richtung. Sie erfasst daher bislang auch nicht die Einkaufspreise, die die Industrie den Landwirten zahlen oder gar die Erzeugerkosten der letzteren.

Zwar ist es denkbar, die Verbotsnorm zu erweitern und an die Herstellungskosten der Landwirte zu koppeln. Im Ergebnis entstünde jedoch eine sogenannte „Open-Book-Policy“ wie sie etwa aus der Automobilzulieferindustrie bekannt ist, das heißt Landwirte müssten faktisch alle ihre Kosten offenlegen und könnten aufgrund der unterschiedlichen Verhandlungspositionen dazu animiert werden, die Kosten weiter zu senken, was im Ergebnis nicht zu höheren Margen der Landwirte führt. Im Gegenteil könnten eventuell verbliebene Restmargen aufgrund der Transparenz wegverhandelt werden. Im Ergebnis dürfte dieser Ansatz wenig helfen, da er weder das Verhandlungsungleichgewicht verändert noch die Verhandlungsergebnisse effizient kontrolliert.

Soweit man Bodo Ramelows Äußerung so verstehen kann, dass der Staat die Mindestpreise festsetzt, wäre damit zwar eine Kontrolle der Verhandlungsergebnisse verbunden. Wie immer stellte sich aber die Frage, nach welchem Mechanismus der Staat eine solche Preisfestsetzung umsetzen möchte und wie sich eine nationale Lösung gegenüber Exporten ohne entsprechende Festsetzung durchsetzen könnte.

Erweiterung der Ausnahmen vom Kartellverbot als strukturelle Maßnahme.

Eine strukturell wirksame Maßnahme wäre die Erweiterung der Ausnahmen vom Kartellverbot zugunsten der Landwirtschaft. Die Landwirte könnten dann beispielsweise durch Absprachen über die Herstellungs- oder Verkaufsmengen das Angebot künstlich verknappen, um die Preise zu erhöhen. Sie könnten auch geschlossen auftreten, um ein Gegengewicht zur Nachfragemacht zu bilden. Die Ausnahmen könnten so weit gehen, dass die Landwirte Preise absprechen und auch ihren Abnehmern gegenüber Mindestweiterverkaufspreise vorschreiben könnten.

Natürlich stellt sich hierbei umgekehrt die Frage, wie und wo man die Grenze für solche Absprachen zieht. Denn eine unbeschränkte Möglichkeit von Mengen- und Preisabsprachen kann durchaus zu Missbrauch und zu stark überhöhten Preisen führen, die am Ende die Verbraucher zahlen müssen. Werden die Vorgaben der Reichweite durch den Gesetzgebers zu granular, ist man faktisch wieder bei der staatlichen Preisregulierung.

Schließlich darf nicht übersehen werden, dass bereits heute Ausnahmen vom Kartellverbot zugunsten der Landwirte gelten (§ 28 GWB), insbesondere auch im Rahmen von Erzeugerorganisationen (§ 5 Agrarmarktstrukturgesetz). Insoweit ist es zumindest nicht offenkundig, dass die landwirtschaftlichen Erzeuger diesen bereits bestehenden Spielraum ausnutzen. Hier gilt es zunächst, die Ursachen zu analysieren.

Ausblick.

Der Gesetzgeber hat eine schwierige Aufgabe vor sich und muss die Interessen der Landwirte und Verbraucher in Einklang bringen. Das Kartellrecht ist insoweit nur ein Aspekt von vielen, allerdings mit weitreichenden Folgen. Die verschiedenen Instrumente liegen auf dem Tisch und es gilt sorgsam abzuwägen, welche Vorteile die mit allen Maßnahmen verbundenen Nachteile übertreffen.


Dr. Kim Manuel Künstner berät Lebensmittelhersteller zu allen Fragen des Kartellrechts einschließlich der Vereinbarungen mit Lieferanten und dem Handel und im Rahmen des Transaktionsgeschäfts.


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