Der Entwurf der EU-Lieferkettenrichtlinie ist ambitioniert und dürfte bei vielen Unternehmen und ihren Verbänden nicht nur auf Gegenliebe stoßen. Der persönliche Anwendungsbereich ist weit, der Schutz wird über Menschenrechte hinaus auf Umweltschutz erweitert, die Umsetzungsmaßnahmen für erfasste Unternehmen sind durchaus konkret und die (zivilrechtliche) Haftung erstreckt sich auf die gesamte Lieferkette, einschließlich indirekter Geschäftspartner. Damit geht der Entwurf deutlich über das deutsche Sorgfaltspflichtengesetz hinaus. Es bleibt abzuwarten, welche Änderungen der Richtlinienentwurf im weiteren EU-Gesetzgebungsverfahren erfährt. Im Folgenden geben wir einen ersten Überblick über einige der wichtigsten Aspekte des derzeitigen Richtlinienentwurfs.

Weiter persönlicher Anwendungsbereich.

Die Richtlinie möchte mit Ausnahme von kleinen und mittleren Unternehmen möglichst viele Unternehmen im Binnenmarkt erfassen. Unternehmen die nach dem Recht eines EU-Mitgliedstaates verfasst sind, fallen in den Anwendungsbereich der Richtlinie, wenn sie durchschnittlich mehr als 500 Personen beschäftigten und laut dem letzten Jahresgeschäftsbericht einen weltweiten Nettojahresumsatz von mehr als EUR 150 Mio. hatten.

Für die gefahrgeneigten Sektoren der Herstellung von beziehungsweise des Großhandels mit „Textilien, Leder und verbundene Produkte inklusive Schuhe“ und „Agrarerzeugnissen und Lebensmitteln“ sowie für die Gewinnung und den Großhandel mit „Bodenschätzen inklusive Rohöl, Gas, Kohle etc.“ gelten niedrigere Schwellenwerte von durchschnittlich 250 Mitarbeitern und einem weltweiten Nettojahresumsatz von mehr als EUR 40 Mio., wobei 50 % des Umsatzes in mindestens einem der genannten Sektoren erwirtschaftet worden sein muss.

Unternehmen, die nicht nach dem Recht eines EU-Mitgliedstaats verfasst sind, werden erfasst, wenn sie entweder einen Nettojahresumsatz von mehr als EUR 150 Mio. in der EU hatten oder einen Nettojahresumsatz von mehr als EUR 40 Mio. in der EU, sofern mindestens 50 % des weltweiten Nettojahresumsatzes des Unternehmens in mindestens einem der besonders gefährdeten Sektoren erwirtschaftet wurde.

Umweltschutz steht gleichrangig neben Menschenrechten.

Die Richtlinie stellt den Schutz der Umwelt direkt neben den Schutz der Menschrechte. Beide zusammen bilden damit die zentralen Schutzobjekte der Richtlinie. Das macht die Richtlinie nach Ansicht der EU-Kommission zu einem Baustein des European Green Deal. Der Aspekt des Umweltschutzes geht damit auch über das deutsche Sorgfaltspflichtengesetz hinaus, welches sich auf die Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette fokussiert.

Hinsichtlich des Schutzstandards beim Umweltschutz verweist die Richtlinie auf diverse internationale Umweltkonventionen, die im Anhang 2 zur Richtlinie aufgeführt werden. Diese Verweisungstechnik nutzt auch das deutsche Sorgfaltspflichtengesetz im Hinblick auf Menschenrechtsverletzungen.

Integration der Sorgfaltspflichten in Unternehmenspolitik.

Der Richtlinienentwurf verlangt, dass Unternehmen die Sorgfaltspflichten für Menschenrecht und Umwelt zum integralen Bestandteil der Unternehmenspolitik machen. Voraussetzung hierfür ist:

  • eine Beschreibung des Unternehmensansatzes im Hinblick auf die Sorgfaltspflichten, inklusive einer langfristigen Perspektive;

  • Aufstellung eines Verhaltenskodex;

  • Beschreibung der Prozesse zur Integration der Sorgfaltspflichten auch im Verhältnis zu Geschäftspartnern;

  • Jährliche Updates der Unternehmenspolitik in Bezug auf Sorgfaltspflichten.

Konkrete Umsetzungsmaßnahmen für Unternehmen.

Der Richtlinienentwurf bleibt hinsichtlich der von Unternehmen umzusetzenden Maßnahmen nicht im Vagen, sondern nennt konkrete Anforderungen, die Unternehmen zum Zwecke der Prävention (Art. 7 RiLi-E) oder der Beendigung negativer Auswirkungen auf Menschenrechte beziehungsweise Umwelt (Art. 8 RiLi-E) regelmäßig umsetzen müssen. Ob und in welchem Umfang Maßnahmen zu ergreifen sind, bemisst sich anhand einer Risikoanalyse des Unternehmens (Art. 6 RiLi-E).

Zentrale Säulen des Maßnahmenkatalogs zur Prävention sind die Entwicklung und Implementierung eines Aktionsplans beim Unternehmen selbst und vertragliche Zusicherungen der Geschäftspartner.

Der Aktionsplan muss vernünftigen und klar definierten Zeitvorgaben sowie qualitativen und quantitativen Indikatoren zur Messung von Verbesserungen enthalten. An der Entwicklung des Plans sollen alle Stakeholder beteiligt werden.

Die vertraglichen Zusicherungen der Geschäftspartner müssen die Einhaltung des Verhaltenskodex des Unternehmens und gegebenenfalls auch Aktionspläne beim Geschäftspartner und dessen Geschäftspartnern umfassen (vertragliche Kaskade). Die Überwachung der Einhaltung der Zusicherungen muss durch geeignete Maßnahmen gewährleistet werden, wozu auch passende Initiativen einzelner Industrien oder Bestätigungen durch unabhängige Dritte herangezogen werden können.

Bei den Maßnahmen zur Beendigung negativer Auswirkungen kommt insbesondere noch die Pflicht zur Zahlung von Schadensersatz beziehungsweise die Leistung finanzieller Kompensation hinzu.

Der Richtlinienentwurf stellt klar, dass Unternehmen die notwendigen finanziellen und organisatorischen Maßnahmen zur Verfügung stellen müssen, um ihren Pflichten nachzukommen. Kleine und mittlere Unternehmen als Geschäftspartner müssen gegebenenfalls gezielt unterstützt werden, gegebenenfalls auch durch finanzielle Übernahme der Auditierungskosten.

Können negative Auswirkungen auf Menschenrechte oder Umwelt durch die Maßnahmen nicht vorgebeugt oder beendet werden, müssen die Unternehmen ihre Geschäftsbeziehungen mit Geschäftspartnern vorläufig aussetzen, beenden oder dürfen diese nicht verlängern, wenn die negativen Auswirkungen von diesen Geschäftspartnern ausgehen.

Unternehmen müssen Beschwerdeverfahren für natürliche Personen und Organisationen, inklusive Zivilgesellschaften, bereithalten (Art. 9 RiLi-E), die Einhaltung der Sorgfaltspflichten überwachen (Art. 10 RiLi-E) und jährliche Berichte auf ihrer Webseite veröffentlichen (Art. 11 RiLi-E), sofern die Unternehmen nicht ohne bereits aufgrund anderer Vorschriften zum Reporting über Nachhaltigkeit verpflichtet sind.

(Zivilrechtliche) Haftung entlang der gesamten Lieferkette.

Pflichten und Haftung der Unternehmen erstrecken sich auf die gesamte Lieferkette, sofern mit dem anderen Unternehmen entlang der Lieferkette eine „etablierte Geschäftsbeziehung“ besteht. Diese kann auch nur indirekt sein.

Die zivilrechtliche Haftung für Schäden trifft ein Unternehmen nach Art. 22 RiLi-E, wenn gegen eine der Pflichten aus den Maßnahmenkatalogen zur Prävention oder Beendigung negativer Auswirkungen auf Menschenrechte oder Umwelt verstoßen wurde (siehe oben), der Pflichtenverstoß kausal für einen negativen Effekt ist, der durch Erfüllung der Pflichten hätte identifiziert, ausgeschlossen, gemildert oder beendet werden sollte, und der negative Effekt zu einem Schaden geführt hat.

Bei geeigneten Maßnahmen kann ein Unternehmen seine Haftung für indirekte Geschäftspartner vermeiden.

In der Regel wird es aufgrund der Haftung für die gesamte Lieferkette häufig zu einer gesamtschuldnerischen Haftung der Unternehmen und ihrer Geschäftspartner kommen.

Daneben mach Art. 26 des RiLi-E auch Vorgaben zur Verantwortung der Geschäftsführer hinsichtlich der Umsetzung der notwendigen Maßnahmen. Spiegelbildlich müssen die Unternehmen kurz-, mittel- und langfristige Nachhaltigkeitsaspekte als Unternehmensinteressen anerkennen, so dass Geschäftsführer sich bei ihren Entscheidungen über rein finanzielle Interessen des Unternehmens auch hieran orientieren müssen.

Ausblick.

Mit dieser Zusammenfassung ist nur ein Bruchteil der Pflichten der Unternehmen nach dem aktuellen RiLi-Entwurf benannt. Es bleibt abzuwarten, ob der Entwurf in dieser Schärfe den Gesetzgebungsprozess der EU übersteht. Falls ja, müssen sich Unternehmen, die im Binnenmarkt aktiv sind, auf erhebliche Maßnahmen einstellen.

Noch bleibt Zeit, sich einerseits in den Gesetzgebungsprozess einzubringen und sich andererseits auf sich bereits abzeichnende notwendige Maßnahmen einzustellen. Nach Verkündung der Richtlinie, bleiben dann noch mindestens zwei Jahre Zeit bis zur Umsetzung durch die Mitgliedstaaten. Das deutsche Sorgfaltspflichtengesetz wird indessen bereits am 1. Januar 2023 in Kraft treten und bietet für die größten Unternehmen daher bereits einen Probelauf für eine EU-Gesetzgebung, die voraussichtlich deutlich über das nationale Recht hinausgehen wird.


Dr. Kim Manuel Künstner berät Lebensmittelhersteller zu allen Fragen des Kartellrechts einschließlich der Vereinbarungen mit Lieferanten und dem Handel und im Rahmen des Transaktionsgeschäfts.