Die EU-Kommission hat einen Report („Retail alliances in the agricultural and food supply chain“) über Handelsallianzen im Lebensmittelsektor veröffentlicht. Handelsverbände deuten die Ergebnisse dieses Reports als Punktsieg. Gleichzeitig zeigt der Report deutlich die Gefahren und den fehlenden Mehrwert bestimmter Formen von Handelsallianzen insbesondere bei „On-Top-Agreements“ auf. Den Lebensmittelherstellern stehen mit dem ausdrücklich im Report genannten Anzapfverbot, dem Boykottverbot, der UTP-Richtlinie und in Zukunft auch mit dem Verbot des Missbrauchs relativer Marktmacht wichtige kartellrechtliche Instrumente zur Verfügung, sich gegen nicht werthaltige Forderungen des LEH und Auslistungen zu wehren.

Im Folgenden zeigen wir die Hintergründe des Reports auf, erklären, warum Handelsallianzen weiterhin kartellrechtlich problematisch sein können und zeigen auf, wie Lebensmittelhersteller sich gegen Handelsallianzen wehren können.

Hintergrund des Reports.

Als im Zuge der Verhandlungen über die Richtlinie gegen unlautere Handelspraktiken (UTP-Richtlinie) die Forderung aus dem EU-Parlament kam, Handelsallianzen zwischen Lebensmitteleinzelhändlern zu verbieten, war die Aufregung groß. Sie erreichte ihren Höhepunkt mit der Befürchtung, die EU könnte nicht nur internationale Handelsallianzen sondern auch nationale Kooperationen selbstständiger Kaufleute wie im Rahmen von EDEKA oder Rewe verbieten. Am Ende des Gesetzgebungsprozess fand sich nichts dergleichen in der Richtlinie. Allerdings bekam die EU-Kommission den Auftrag, die Bedeutung von Handelsallianzen zu untersuchen. Dazu wurde im Herbst 2019 ein Workshop mit Stakeholdern und Experten durchgeführt. Die Ergebnisse dieses Workshops liegen nunmehr in einem Report vor, dessen Fazit zu (nachteiligen) Auswirkungen durch Handelsallianzen ist: es kommt darauf an.

Auf Händlerseite wird das Ergebnis des Reports als deutlicher Sieg und Bestätigung der Zulässigkeit von Handelsallianzen gefeiert. Dies ist verständlich, betrachtet man, dass zwischenzeitlich eine Regulierung der Handelsallianzen durch den EU-Gesetzgeber im Raum stand, wovon nach dem Report jedoch nichts mehr übrig ist.

Der Teufel für den Handelssektor steckt jedoch im Detail. Denn der Report spricht die Handelsallianzen gerade nicht von Bedenken frei, sondern legt teilweise sehr deutlich die von Handelsallianzen ausgehenden Gefahren dar und fordert die nationalen Behörden und Gesetzgeber dazu auf, sich die konkreten Auswirkungen einzelner Handelsallianzen im Detail anzusehen.

Konkrete Vorbehalte gegenüber Handelsallianzen.

Auf den Seiten 14 f. des Reports wird teilweise sehr deutlich der fehlende Mehrwert der Handelsallianzen und die von ihnen ausgehende Gefahr geschildert: der Report beschreibt, dass die meisten Handelsallianzen keine echten Einkaufsgemeinschaften sind, sondern lediglich „On-Top-Vereinbarungen“ gegenüber Markenherstellern aushandeln. Die Handelsallianz kauft daher nicht etwa stellvertretend und zentral für ihre Lebensmitteleinzelhändler ein – diese Verhandlungen laufen weiterhin dezentral mit den einzelnen Mitgliedern der Handelsallianz –, sondern es finden zusätzlich weitere Verhandlungen mit der Handelsallianz über „On-Top-Vereinbarungen“ statt.

Bereits an dieser Stelle ist offenkundig, dass diese Form der Handelsallianz zu einem Mehraufwand auf Seiten der Lebensmittelhersteller führt. Die Handelsallianzen können also von vorneherein nicht für sich in Anspruch nehmen, dass sie die den Aufwand auf Seiten der Hersteller reduzierten. Die angeblichen Effizienzgewinne durch diese Handelsallianzen müssen daher woanders gesucht werden. Die Handelsallianzen behaupten insoweit, den Lieferanten folgende Leistungen auf internationaler Ebene bieten zu können:

  • Kaufmännische Leistungen in den Geschäftsräumen wie Produktplatzierung, Werbedisplays, Sonderplatzierungen. Es stellt sich jedoch die Frage, welcher Mehrwert hier durch die Handelsallianzen geboten wird. Insoweit ist zu beachten, dass die Bestückung der Regale, die Käuferpräferenzen und die jeweiligen Portfolios in den einzelnen Ländern und damit bei den jeweiligen Einzelhändlern sehr unterschiedlich ausfallen kann.

  • Gemeinsame Geschäftspläne und Wachstumsinitiativen. Die Mitglieder der Handelsallianzen unterscheiden sich jedoch nicht selten in Bezug auf Ladengrößen, Marktpositionierung und Strategie.

  • Nachhaltigkeitskampagnen. Interesse und Kundenpräferenzen beim Thema Nachhaltigkeit können von Land zu Land und selbst von Region zu Region sehr unterschiedlich sein, was auch einheitliche Nachhaltigkeitskampagnen weniger wahrscheinlich beziehungsweise interessant macht.

  • Sequentielle Durchführung von Werbekampagnen von Land zu Land. Dies ist zwar denkbar, aber häufig nicht im Interesse der Hersteller beziehungsweise als Service der Handelsallianzen bei weitem nicht so werthaltig, wie die finanzielle Gegenleistung, die die Hersteller an die Handelsallianzen erbringen müssen.

  • Unterstützung bei Produktstart über mehrere Länder hinweg. Ebenfalls denkbar, aber gerade bei Produktinnovationen finden regelmäßig Testläufe in bestimmten Ländern zuerst statt, um das Risiko zu senken. Umgekehrt besteht die Gefahr, dass Hersteller gedrängt werden, Produktinnovationen direkt allen Mitgliedern zur Verfügung zu stellen. Zudem können für die Hersteller nachteilige Informationsflüsse entstehen, wenn Händler über die Handelsallianzen frühzeitig von Produktinnovationen erfahren und diese im Rahmen von Handelsmarken kopieren.

  • Datensammlung und Bereitstellung: Handelsallianzen können Informationen wie Abverkaufsdaten der Mitglieder sammeln und Herstellern zur Verfügung stellen. Ob hierin jedoch ein genuiner Mehrwert für die Hersteller besteht ist fraglich, da diese Daten auch direkt von den Mitgliedern der Handelsallianzen übermittelt werden können, häufig über IT-Schnittstellen. Letztlich müssen die Hersteller die daten von unterschiedlichen Handelsallianzen gerade für eine Länderbetrachtung doch wieder zusammenführen und auswerten.

Im Ergebnis ist der Mehrwert der Leistungen, welche die Handelsallianzen im Rahmen der „On-Top-Agreements“ anbieten, sehr fraglich. Hinzu kommt, dass die Handelsallianzen aufgrund der Selbstständigkeit ihrer Mitglieder sowie der weiteren Selbstständigkeit der einzelnen Kaufleute innerhalb dieser Mitglieder auch aus kartellrechtlichen Gründen keine Handhabe haben, bestimmte Services durchzusetzen beziehungsweise gegenüber den Herstellern zu garantieren.

Als Gegenleistung für die oben beschriebenen Leistungen fordern die Handelsallianzen im Rahmen der „On-Top-Vereinbarungen“ eine Geldzahlung in Höhe von bis zu 2% des Gesamtumsatzes, den der jeweilige Lebensmittelhersteller mit allen Mitgliedern der Handelsallianz macht. Hierdurch kommen gerade bei großen Lebensmittelherstellern beträchtliche Summen zustande, welche zusätzlich zu den national verhandelten Konditionen mit den LEH zu leisten sind und häufig einen allenfalls sehr zweifelhaften Gegenwert bieten.

Das eigentliche Problem ist dabei nicht, dass die Handelsallianzen von den Herstellern mitunter sehr viel Geld für sehr wenig Gegenleistung fordern, sondern wie sie diese Forderungen gegenüber den Herstellern durchsetzen:

  • Eintrittsgelder: so wird im Report auf Seite 15 beschrieben, dass Handelsallianzen mitunter die Forderung von bis zu 2 % des Gesamtumsatzes der „On-Top-Vereinbarungen“ als „Eintrittsgeld“ verlangen, damit der betroffene Lebensmittelhersteller überhaupt erst auf nationaler Ebene mit den Mitgliedern der Handelsallianz verhandeln darf.

  • Kollektive Auslistung: Des Weiteren wird beschrieben, dass Mitglieder der Handelsallianzen mit kollektiver Auslistung der Produkte eines Herstellers bei allen Mitgliedern drohen, wenn sich dieser Hersteller nicht mit allen Mitgliedern auf nationaler Ebene handelseinig wird.

  • Doppelzahlungen: Schließlich wird beschrieben, dass Lebensmittelhersteller häufig für ein und dieselbe Leistung doppelt zahlen müssen, namentlich im Rahmen der „On-Top-Vereinbarung“ mit der Handelsallianz und im Rahmen der nationalen Verhandlungen mit dem Mitglied der Handelsallianz, beispielsweise für das Aufstellen von Werbedisplays. Dies unterstreicht nochmals die häufig fehlende Werthaltigkeit der Gegenleistungen des Handels im Rahmen der „On-Top-Vereinbarungen“.

Im Ergebnis benennt der Report daher sehr wohl und sogar sehr deutlich, die Gefahren, welche von (bestimmten Formen von) Handelsallianzen ausgehen. Einen Freifahrtsschein stellt der Report den Allianzen daher sicherlich nicht aus.

Aufforderung gegenüber Behörden Einzelfälle zu beobachten.

Zutreffend haben die Interessensverbände der Lebensmittelhersteller darauf hingewiesen, dass der Report Wettbewerbsbehörden auffordert, wachsam zu bleiben hinsichtlich möglicher Bedenken gegen Handelsallianzen, die sich aus Verstößen gegen EU-Wettbewerbsrecht, die UTP-Richtlinie und einschlägige nationale Rechtsvorschriften ergeben. Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, gerade auch die einschlägigen Vorschriften in Deutschland zu betrachten, da der Report das deutsche Anzapfverbot als ausdrückliches Beispiel für die Kontrolle ungerechtfertigter Forderungen der Handelsallianzen durch nationale Behörden nennt:

Begrenzung der Handelsallianzen durch das Anzapfverbot.

Das Anzapfverbot (§ 19 Abs. 2 Nr. 5 GWB (iVm § 20 Abs. 2 GWB)) zielt auf Konstellationen ab, in denen Hersteller von Händlern abhängig sind und Händler Konditionen fordern, die nicht durch entsprechende Gegenleistungen abgedeckt werden. Aufgrund einer Entscheidung des BGH besteht insoweit Klarheit, dass LEH im Nachgang einer Übernahme eines Konkurrenten keinen (rückwirkenden) Bestwertabgleich durchführen und gegenüber den Herstellern Nachforderungen anmelden dürfen. Das Bundeskartellamt bleibt aber hinsichtlich des Anwendungsbereichs des Anzapfverbots nicht bei Hochzeitsrabatten stehen, sondern wendet es auch auf unterjährige Forderungen der Händler an, denen keine erkennbare Gegenleistung gegenübersteht. So unterband das Bundeskartellamt die Forderung einer führenden Möbeleinzelhandelskette nach einer Sonderkondition in Höhe von 7,5% gegenüber Möbellieferanten aufgrund des 75-jährigen Firmenjubiläums. Da das deutsche Anzapfverbot immer dann Anwendung findet, wenn eine Handlung den deutschen Markt betrifft, können sich Handelsallianzen nicht etwa durch Wahl ihres Sitzes im Ausland entziehen.

Das deutsche Anzapfverbot kann damit ein scharfes Schwert gegenüber ungerechtfertigten Forderungen des LEH oder anderer Einzelhändler sein. Die Norm kann zudem sowohl durch Einleitung eines behördlichen Verfahrens vor dem Bundeskartellamt als auch im Wege einer zivilrechtliche Klage durchgesetzt werden. Liegt eine Verletzung des Anzapfverbotes vor, können zudem Kartellschadensersatzansprüche geltend gemacht werden, zum Beispiel wegen entgangenen Gewinns.

Begrenzung der Handelsallianzen durch das Boykottverbot.

Weiterhin enthält das deutsche Kartellrecht in § 21 Abs. 1 GWB ein Boykottverbot, welches es Unternehmen verbietet, andere Unternehmen aufzufordern ein drittes Unternehmen zu boykottieren. Eine solche Boykott-Situation kann aber entstehen, wenn eine Handelsallianz oder ein Allianzmitglied andere Mitglieder oder Händler auffordert, Produkte eines Herstellers auszulisten. Ein entsprechender Verstoß kann bußgeldrechtlich geahndet und zu Kartellschadensersatzansprüchen insbesondere wegen entgangenen Gewinns führen.

Begrenzung der Handelsallianzen durch UTP-Richtlinie.

Die UTP-Richtlinie sieht einige Verbote für unlautere Handelspraktiken vor, darunter auch Listungsgebühren. Allerdings erfasst die UTP-Richtlinie nur solche Lieferanten entlang der Lebensmittellieferkette, die einen Jahresumsatz von maximal EUR 350 Mio. aufweisen. Dies schließt größere Hersteller aus, die viel eher ihrerseits darauf achten müssen, gegenüber eigenen Lieferanten nicht gegen die Verbote der UTP-Richtlinie zu verstoßen. Die Mitgliedstaaten können über diese Mindestharmonisierung hinausgehen und auch größere Lebensmittelhersteller in den Schutzbereich der UTP-Richtlinie einbeziehen. Dies zeichnet sich aber zumindest für Deutschland nicht ab. Des Weiteren wird in Deutschland nicht etwa das Bundeskartellamt für die Durchsetzung der Verbote nach der UTP-Richtlinie zuständig sein, sondern die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE).

Begrenzung der Handelsallianzen durch Verbot des Missbrauchs relativer Marktmacht.

Mit der anstehenden 10. GWB-Novelle wird der Anwendungsbereich des Missbrauchsverbots relativer Marktmacht ( 20 Abs. 1 GWB) erweitert und auch hinsichtlich der Verhandlungen zwischen Lebensmittelherstellern und Händlern eine größere Rolle spielen. Bislang scheiterte eine Anwendung dieser Vorschrift häufig daran, dass es sich bei den Lebensmittelherstellern nicht um „kleinere oder mittlere Unternehmen“ (KMU) handelte. Mit Inkrafttreten der 10. GWB-Novelle wird dieser „KMU-Vorbehalt“ jedoch ersatzlos gestrichen, so dass sich auch große Lebensmittelhersteller und Konzerne besser gegen ungerechtfertigte Auslistungen und andere Maßnahmen der Händler zur Wehr setzen können. Entscheidend ist vielmehr die jeweilige (wechselseitige) Abhängigkeit zwischen Hersteller und Händler im Einzelfall.

Bei der Bewertung dieser Abhängigkeit wird auch zu berücksichtigen sein, welche finanziellen Risiken dem Hersteller auf der einen Seite und dem Händler auf der anderen Seite im Falle einer Auslistung drohen. Denn selbst Lebensmittel mit hohen Marktanteilen bei den Verbrauchern repräsentieren häufig nur einen sehr kleinen Teil des Umsatzes des jeweiligen Händlers. Umgekehrt führt eine Auslistung bei einem wichtigen Händler zu erheblichen Umsatzverlusten bei einem Hersteller. Für die Frage der Abhängigkeiten und der Verhandlungsmacht entlang der Lebensmittellieferkette wird daher allzu oft Wert auf die Marktanteile der Hersteller und Händler auf den Absatzmärkten gegenüber den Verbrauchern gelegt. Entscheidend für die Frage nach der ungerechtfertigten Ausnutzung von Verhandlungsmacht ist jedoch das wirtschaftliche Risiko, welches die Verhandlungspartner bei einer zu prüfenden Maßnahme jeweils zu tragen haben, das heißt insbesondere der jeweils drohende Umsatzverlust und die jeweils zur Verfügung stehenden Ausweichmöglichkeiten.

Fazit und Ausblick.

Handelsallianzen bleiben unter Beobachtung. Insbesondere „On-Top-Vereinbarungen“ und Auslistungen bieten viel Potenzial für Kartellrechtsverstöße und entsprechende Maßnahmen durch Kartellbehörden und Lebensmittelhersteller. Weitere politische Maßnahmen sind nach ersten Äußerungen der Vertreter aus dem Europäischen Parlament nicht ausgeschlossen.


Dr. Kim Manuel Künstner berät Lebensmittelhersteller zu allen Fragen des Kartellrechts einschließlich der Vereinbarungen mit Lieferanten und dem Handel und im Rahmen des Transaktionsgeschäfts.


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