Seit der Grundsatzentscheidung des BGH in Sachen Hochzeitsboni im Umfeld von Händlerfusionen (damals Übernahme von Plus durch EDEKA), zählt das Anzapfverbot (§§ 19 Abs. 2 Nr. 5, 20 Abs. 2 GWB) zum festen Kanon der kartellrechtlichen Instrumente zur Abwehr der Nachfragemacht durch Händler, nicht nur im Lebensmittelbereich. Fordern nachfragestarke Händler daher von den Lieferanten Vorteile (z.B. bessere Konditionen, Sonderzahlungen, etc.), müssen diese Forderungen aus Sicht der Lieferanten nachvollziehbar begründet sein und in einem angemessenen Verhältnis zum Grund der Forderung durch den Händler stehen. Es bedarf daher grundsätzlich einer angemessenen, kalkulierbaren und tatsächlich gewährten Gegenleistung für den Lieferanten.

Wie bereits an anderer Stelle anhand der Entscheidungspraxis gezeigt, wendet das Bundeskartellamt das Anzapfverbot nicht nur auf Fusionsfälle und Hochzeitsrabatte an, sondern auch auf unterjährigen Forderungen (z.B. Sonderzahlungen bei Händlerjubiläen) und sogar auf AGB.

Angesichts der aktuellen Übernahme bisheriger real-Standorte und in diesem Zusammenhang unterschiedlich formulierter Forderungen der Händler EDEKA und Kaufland gegenüber den Lieferanten, sich an den Marktübernahmen kaufmännisch zu beteiligen, hatte das Bundeskartellamt jüngst erneut die Möglichkeit, den Tatbestand des Anzapfverbots und dessen behördliche Durchsetzung weiter zu konkretisieren.


EDEKAs Einladung zu Sonderverhandlungen im Ergebnis unkritisch.

EDEKA lud die Lieferanten in einem Rundschreiben noch vor Abschluss der Übernahme der real-Standorte und noch bevor klar war, welche Standorte konkret von EDEKA übernommen werden können, zu Sonderverhandlungen ein. Bei Erzeugern, Lieferanten, Politikern und Medien erzeugten Zeitpunkt und Teile der Formulierungen des Rundschreibens den Eindruck, dass EDEKA sich die Übernahme der real-Standorte von den Lieferanten teilweise refinanzieren lassen möchte. So soll in dem Schreiben zu einer „Unterstützung bei der kaufmännischen Abbildung der Übernahme von Real-Standorten“ aufgefordert beziehungsweise eingeladen worden sein. Der Geschäftsführer der Interessensgemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands, Dr. Torsten Staack, verstand die Formulierung so: „Das heißt doch im Klartext, die Lieferanten sollen die Übernahme der real-Märkte mitbezahlen.“. Auch die Lebensmittel Zeitung titelte „Edeka nimmt Industrie für Real in die Pflicht“. MdB Gitta Connemann (CDU) schrieb eigens an den Präsidenten des Bundeskartellamtes.

Das Bundeskartellamt nahm daher Untersuchungen unter dem Gesichtspunkt des Verstoßes gegen das Vollzugs- und das Anzapfverbot gegen EDEKA auf. Mit Pressemitteilung vom 12. Mai 2021 erklärte das Bundeskartellamt jedoch die Einstellung des Verfahrens, da sich der Verdacht auf Verstoß gegen das Anzapfverbot sich nicht erhärtet hatte. Maßgeblich hierfür ist, dass EDEKA gegenüber dem Bundeskartellamt hinsichtlich der Sondervermarktungsaktionen in den neuen Großflächen der früheren real-Standorte folgende Umstände darlegen konnte:

  • Für die geforderten Zuschüsse bietet EDEKA den Lieferanten individuelle Gegenleistungen, die warenwirtschaftlicher Natur und produktspezifisch konkretisiert sind. EDEKA wird demnach gerade keinen pauschalen Zuschuss für die Händlerhochzeit in höhe von X % fordern.

  • Die Lieferanten können frei entscheiden, ob sie entsprechende Vermarktungspakete nutzen wollen oder nicht. Insoweit werden die weiteren Verhandlungen zeigen, wie EDEKA mit Lieferanten umgeht, die kein Interesse an den Vermarktungspaketen haben oder deren Gegenwert anzweifeln.

  • Es ist sichergestellt, dass die konkret vereinbarten Werbeaktionen tatsächlich durchgeführt werden.

  • Über die konkret vereinbarten Werbeaktionen hinaus wird Edeka keine Vergütungen von den Lieferanten für die hinzugewonnen Real-Standorte erlangen, so dass die Gegenleistungen für die Lieferanten kalkulierbar ist.

  • Schließlich soll es im Verhältnis zu den geltenden Konditionen aus den Jahresgesprächen keine Doppelvergütungen für bereits abgegoltene Gegenleistungen geben.

Unterstellt man, dass EDEKA diese Leitplanken bereits zum Zeitpunkt des deutlich offener formulierten Rundschreibens betreffend der Sonderverhandlungen einhalten wollte und nicht erst auf den Druck des Bundeskartellamtes reagierte, steht eine Vereinbarkeit der Forderungen mit dem kartellrechtlichen Anzapfverbot außer Frage. Unter dieser Prämisse zeigt der Vorgang, dass Kartellrechts-Compliance sehr viel mit Kommunikation zu tun hat. Aufgrund der äußeren Umstände (Zeitpunkt der Aufforderung vor Bekanntgabe der Anzahl der übernommenen Märkte und deren Standorte, pauschale Forderungen von Kaufland inklusive Presseberichte hierüber, vorhergehender Verstoß EDEKAs gegen das Anzapfverbot bei Übernahme der Plus-Märkte) hätte EDEKA bei vagen Formulierungen wie „kaufmännische Beteiligung der Lieferanten an Übernahmen“ sensibler reagieren können.

Sofern die vom Bundeskartellamt genannten Aspekte umgesetzt werden, haben EDEKA und die Lieferanten nun aber zumindest endgültig Klarheit über die kartellrechtskonforme Ausgestaltung der Sonderverhandlungen.

Kauflands Forderungen nach Hochzeitsboni werden weiter untersucht.

Gleiches gilt nicht für Kaufland und deren Forderung nach Hochzeitsboni. Hier sieht das Bundeskartellamt noch weiteren Klärungsbedarf und bat die Schwarz-Gruppe um Stellungnahme zu einer Reihe von Fragen. Laut Presseberichten forderte Kaufland bereits im vergangenen Sommer von den Lieferanten einen Prozentsatz vom Umsatz pro übernommenen Markt, der zwischen 0,01 und 0,02 Prozent bezogen auf den mit Kaufland gemachten Bruttoumsatz ausmachen kann. Problematisch erscheinen diese pauschalen Forderungen im Hinblick auf das kartellrechtliche Anzapfverbot vor dem Hintergrund, dass real bei einigen Lieferanten deutlich umfangreichere Listungen aufwies und Lieferanten daher eventuell dafür zahlen müssen, um weniger des eigenen Produktportfolios in denselben Märkte wiederzufinden. Dieses Gefälle von Forderung und Gegenleistung, der Mangel an Kalkulierbarkeit und die Pauschalität der Forderung sind deutlich schwieriger mit dem kartellrechtlichen Verbot ungerechtfertigter Forderungen in Einklang zu bringen als es die Forderungen von EDEKA nach Abklärung durch das Bundeskartellamt sind. Es verwundert daher nicht, dass sich die Behörde anscheinend etwas länger mit den Forderungen von Kaufland auseinandersetzt. Auch der Ausgang dieser Untersuchung wird den Anforderungskatalog des Anzapfverbots weiter konkretisieren und die Rechtssicherheit für alle Beteiligten erhöhen.


Dr. Kim Manuel Künstner berät Lebensmittelhersteller zu allen Fragen des Kartellrechts einschließlich der Vereinbarungen mit Lieferanten und dem Handel und im Rahmen des Transaktionsgeschäfts.


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